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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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den Tempel umfing wie ein Schatten, der größer war als der Gegenstand, der ihn warf, war die ungeheuerliche schwarze Pyramide aus seinem Wüstentraum …
    … Die Pyramide … der Sitz des Teufels …
    Etwas traf ihn wie eine Bombe, ein großer, wummernder Schlag, als ob er ein Hammer wäre, der soeben auf einen titanischen Amboß gedonnert war, ein tiefer, nachhallender Ton wie die Geburt einer Welt … oder ihr Ende …
    Aus …!
    Der Tunnel um ihn herum verwackelte und zerfloß in schimmernde Lichtflecken.
    Erste Stufe, begriff er dunkel. Seine Gedanken waren so fern wie die Stimmen von Zugvögeln, die unsichtbar über den Nachthimmel flogen. Ich hab den ersten Schritt in den Tempel getan … in die Finsternis …
    Der Donnerhall verklang. Das zitternde, gleißende Licht formierte sich neu. Er war wieder ein Kind, das seiner Mutter vom Brunnen nach Hause folgte und beobachtete, wie sie mit wiegenden Hüften den Blechkanister auf dem Kopf balancierte. Es raschelte im trockenen Gras, und er sah eine rotbraune Schlange auf den Pfad huschen. Seine Mutter drehte sich mit schreckensweiten Augen um, aber die Schlange war zwischen ihnen …
    Jetzt saß er auf dem Rücksitz eines Wagens, der an der Küste entlangfuhr. Vorne stritten sich seine Eltern, und neben ihm saß seine große Schwester, schnitt Grimassen und stieß ihn mit dem Hals ihrer kopflosen Puppe. Er trat nach ihr, aber sie hielt Abstand, und seine Eltern, nach denen er schrie, waren zu sehr mit ihrem eigenen Streiten beschäftigt. Als das Auto um eine Kurve bog, spiegelte sich die Sonne grell auf dem Wasser, und einen Moment lang war er von dem Licht geblendet, das die Gesichter seiner Eltern scharf umriß …
    Seine zwei jüngeren Brüder waren aus dem Zelt gekrochen. Seine Mutter schrie, was das kranke Baby in ihren Armen nur noch mehr aufbrachte, aber das schlimme war, daß seine Mutter richtig Angst hatte, weil es draußen stockfinstere Nacht und sein Vater noch nicht wieder da war. Er schlüpfte durch die Zeltklappe und an den nervösen Ziegen vorbei, die blökten und mit ihren Glocken bimmelten. Der Nachthimmel dehnte sich schier unendlich in alle Richtungen, und die Sterne funkelten stechend, und er rief immer wieder die Namen seiner Brüder …
    Aber ich hab doch gar keine Brüder, dachte er. Und das sind gar nicht meine Eltern, oder?
    Auf einmal ereignete sich alles gleichzeitig.
    Eine Hütte hoch am Hang in einem Gebirgstal, und sein Fahrrad lag in einer Grube neben dem Weg davor, die Räder an den Gabeln angerostet, weil er es den ganzen Winter über dort liegengelassen hatte, um in einem Konflikt mit seinem Vater zu gewinnen, von dem dieser gar nichts wußte …
    Die Stelle in dem langen Eingangsflur, wo die Bilder seiner Mutter und seiner älteren Schwester mit einer Blumenvase dazwischen auf einem Tisch standen und wo seine Großmutter manchmal, an heiligen Tagen, eine Kerze anzündete …
    Spielen im Fluß, bevor die Regenzeit wieder kam, die Ufer bis weit unten vom Wasser entblößt, nur Schlamm. Sein Cousin und einer der anderen Dorfjungen rangen miteinander, und sie rutschten aus und verschwanden in der morastigen Brühe, so daß er es mit der Angst zu tun kriegte, aber dann kamen sie lachend wieder hoch, von Kopf bis Fuß einheitlich kackbraun außer den leuchtenden Augen und den Zähnen …
    Wo es jetzt Abend geworden war, holten sie die Fahne seines Onkels ein, und er stand total stramm und hoffte, daß sein Onkel seine kerzengerade Haltung bemerkte …
    Aus …
    Zweite Stufe. Die Lichtflecken zerfielen in kleinere, eckigere Stückchen, Scherben menschlicher Leben, Tausende von hellen, splittrigen Szenen, zerbrochenen Fenstern gleich: auf einem hohen Bergpfad den Pferden folgend, die bunte Troddel einer Decke im Blick … ein scharfes Bellen des Hundes, der etwas in der Nachbarwohnung hörte, wo eigentlich niemand zuhause sein sollte … das weinende Gesicht seines kleinen Bruders, pummelig und rot und völlig erschüttert, daß er in den Sandkasten geschubst worden war … ein Paar neue Schuhe, ordentlich auf seinen zusammengefalteten Sonntagsanzug gestellt …
    Und die ganze Zeit über lauerte ein großes dunkles Etwas unter diesen kurzen Schlaglichtern, als ob er, das beobachtende Auge, ein Taucher wäre, der knapp unter der Oberfläche schwamm, während gleichzeitig ein Wesen, das unbegreiflich viel zu groß und viel zu weit unten war, langsam, ganz langsam unter ihm dahinzog. Es wußte nicht, daß er da war, und seine Neugier war

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