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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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frappierend, sie in der Luft kreisen zu sehen – da ihm ungefähr so zumute war, wie wenn er von einem riesigen Abfluß verschluckt wurde, konnte er nicht verstehen, wieso sie nicht ebenfalls geradewegs auf den Tempel zufliegen mußten. »Ohhhh«, stöhnte er. Das Sprechen fiel ihm immer schwerer. »Werdet ihr denn nicht … angezogen?«
    Zunni, wenn sie es denn war, redete weiter, als ob er nichts gesagt hätte. »Singularität? Alle Pfeile in eine Richtung? Is das nich richtig?«
    »Zu umkehrig!« fiepte ein anderes Stimmchen. »Is nich so klein.«
    Orlando wurde aus alledem nicht schlau und hatte mittlerweile nicht mehr die Kraft, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er merkte, daß er die Tonscherbe so fest umklammert hielt, daß seine Finger weiß geworden waren.
    »Musse hin, aber will gar nicht?« Die kleine gelbe Gestalt war zu nah, um klar erkennbar zu sein. Verschwommen flatterte sie vor seinen Augen, ätherisch wie eine Engelsvision. »Dann musse durch und huppen.«
    »N-n, Zunni«, widersprach eines der anderen. »Nich huppen.« Diese Stimme war so hoch und lispelnd wie die eines kleinen Kindes, das noch nicht einmal in die Schule ging. »Drumrums besser. Gavvy Well machen.«
    »Sie meint ›Gravity Well‹«, raunte Zunni vertraulich. »Das isn Spiel, gell?«
    Die Fassade des roten Steintempels ragte jetzt vor Orlando auf wie eine Felswand, unwirklich hoch, unwirklich steil und erschlagend, und immer noch keckerten die Affen untereinander. Fredericks hatte recht, dachte er mit wachsender Verzweiflung. Is ist wirklich, als ob du dich mit Corn Flakes unterhalten wolltest …
    »Lieber schnell rennen, Landogarner«, meinte ein anderes der kleinen Wesen schließlich. »Isses beste.«
    »’s einzige«, erklärte ein anderes. »Misterioso fabuloso. Brauchse die besten Tricks.«
    »Ich kann nicht … wegrennen«, knirschte er. »Das hab ich euch doch gesagt. Es … es hat mich.«
    Zunni seilte sich an einer Haarsträhne über seine Stirn ab und piekste ihm in die Backe. »Nein, draufzu rennen musse. Ganz schnell. Und schnelle Sachen denken.«
    »Ah, Zunni, du riesendumme Itipoti du!« quiekte ein anderes Äffchen. »Das bringt nix. Einfach schnell rennen muß er.«
    »Schnelle Sachen noch dazu denken«, flüsterte die vor seiner Nase baumelnde Zunni im Verschwörerton. »’s Große Fiese Nix schläft ganz fest – vielleicht gehts auszutricksen.«
    Orlando weinte beinahe, so sehr strengte er sich an, seine Schritte zu verlangsamen. Der düstere Eingang des Tempels stand vor ihm, eine breite schwarze Öffnung in der Fassade, die wie eine große Zahnlücke aussah. Etliche Meter vor ihm war Fredericks nur noch ein hellgrauer Schemen, von der Dunkelheit beinahe schon verschlungen. »Das versteh ich nicht«, keuchte er. »Draufzurennen? Rennen?«
    »Wir helfen«, versprach Zunni. Sie kletterte ihm auf die Schulter, dann sprang sie auf seinen Rücken, wo er sie zwar nicht mehr sehen, aber immer noch ihre Stimme hören konnte. »Dann kommse schnell wieder raus, wie in Gravity Well. Paß auf, wir schieben!«
    Und plötzlich zog sich die ganze Flatterstaffel der winzigen Affen zwischen seinen Schulterblättern zusammen und verpaßte ihm einen überraschend kräftigen Stoß. Er flog nach vorn und ruderte wie wild mit den Armen, um nicht der Länge nach hinzuschlagen. Alles wirbelte vor seinen Augen, als ob Otherlands Umsetzungszeit zum erstenmal das wirkliche Leben nicht erreichen könnte, aber rasch wurde ihm klar, daß es in Wahrheit noch eigenartiger war: Der Eingang, die mächtigen Sandsteinquader der Mauern, sogar der sich erstaunt in Zeitlupe umdrehende Fredericks, alles wurde urplötzlich flächig und streckte und rundete sich zu einem Tunnel, den er hinunterjagte. Orlando haschte nach Fredericks, als er an ihm vorbeisauste, durch ihn hindurch, weiter … Einen Moment lang fühlte er, wie er das harte Tonstück mit der eingeritzten Feder krampfhaft vor sich hielt wie einen Schild, während die Finger seines Freundes seine andere Hand faßten, dann fiel alles körperliche Empfinden von ihm ab, und er war nur noch ein Auge, das in einen unendlich tiefen Brunnen stürzte, ein Ohr, das nichts anderes mehr hörte als das Brausen eines unaufhörlichen Windes.
    Ich bin drin! konnte er gerade noch denken, als schlagartig ein Bild vor ihm aufzuckte, klar und deutlich, obwohl er es nur innerlich wahrnahm, nicht mit dem Gesichtssinn. Was der Tempel verbarg, erkannte er plötzlich ohne jeden Zweifel, und was dabei doch

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