Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

fast so groß wie sein Entsetzen, aber nichts auf der Welt konnte schutzloser sein als er, ein Wurm ohne Haken, der über dem großen Schatten im Wasser trieb …
    Aus …
    Die dritte Stufe brachte das Dunkel, als ob das unter ihm schwimmende Große Nichts aufgestiegen wäre und ihn zufällig, ohne es selbst zu merken, auf einen Happs hinuntergeschluckt hätte. Das Dunkel umgab ihn jetzt, durchdrang ihn, aber es war ein Dunkel, das brannte, die Dunkelheit in der Backröhre, nachdem jemand die Klappe zugemacht hat.
    Er schrie, aber wortlos. Er kannte keine Worte. Es gab Lichtblitze, aber sie hatten nicht mehr Sinn als die brennende Dunkelheit. Er war nicht nur körperlos, sondern auch namenlos. Er kannte keine Brüder, keine Schwestern, keine Väter, keine Mütter, nur Schmerz und Tumult. Er war eine Singularität, ein unendlich kleiner Punkt im Zentrum des Alls, und alles, was ihn umgab, war endlich. Er explodierte immer und immer wieder.
    Die Impulse kamen jetzt schneller, kamen heißer, schneller und heißer und es ging nicht, er versuchte es aber er spürte und hörte und sah nichts überhaupt nichts als schnell und heiß und
    Schneller heißer schneller heißer zerbrochen zuckend kratz Nadel Weißglut kann nicht aufhören schlagen nein nicht mehr nein nicht noch schneller heiß aufhören nicht noch nein es hört nicht auf zu weh auf weh zu tun nicht warum versteht nicht heiß noch schneller drinnen aufhören drinnen heißer draußen aufhören noch schneller nicht noch heißer es soll …
    Aufhörensollaufhörenhörtnichtaufwarumnichtsoll …
    Und dann hörte es endlich auf. Etwas Blaues, etwas Ruhiges, etwas klebrig Kühles floß über und machte alles langsam, ganz langsam, ein wunderbares schleichendes siruplangsames Überfrieren, das ihn hielt und bedeckte und sein tiefes schwarzes leeres Herz langsam schlagen ließ, ganz ganz langsam, bis es nur noch einmal in hundert Jahren schlug, einmal in einem Äon, einmal am Anfang von allem und dann noch einmal ganz am Schluß, wenn alles endlich aufhörte …
    Aus … Die vierte Stufe.
    Und mit diesem einen gewaltigen Dröhnen kam das Nichts. Und es kam als Erlösung.
     
    Er stieg namenlos aus der totalen Schwärze in eine andere, nicht so tiefe Nacht auf, an einen ganz stillen Ort, wo es keine andere Zeit gab als jetzt. Er dachte nur deshalb, daß es ein Ort war, weil er sich irgendwie als individuelles Wesen wahrnahm und von daher das vage Gefühl hatte, zwangsläufig an einem Ort sein zu müssen, aber er hatte es nicht eilig herauszufinden, wo er war, nicht einmal, wer er war. Die Annahme der persönlichen Existenz brachte, wie er wußte, gewisse Verpflichtungen mit sich, und er hatte im Moment keinerlei Bedürfnis nach etwas, das so strapaziös und bindend war.
    Obwohl die Schwärze alles umfing, hatte sie eine Gestalt, eine Gestalt, die er schon einmal gesehen hatte, unten breit, oben schmal – ein Berg, eine ausgetrunkene und dann umgedrehte Tasse, eine Pyramide … Er war im Dunkeln – war das Dunkel –, aber er nahm dennoch die schwarze Form in ihrer ganzen geometrischen Unmöglichkeit wahr, die Schenkel, die zusammenstrebten und gleichzeitig parallel nach oben ins Unendliche liefen.
    Und mit dem Gefühl, im Herzen der schwarzen Pyramide am Leben und winzig klein und im Augenblick noch unbemerkt zu sein, begann in der Leere etwas zu knistern. Er sah in der Dunkelheit vor sich einen Spalt entstehen, sah, daß es ein Licht war, was ihn aufriß, ein zischendes, prasselndes Flammen wie beim Feuerwerk am Tag der Vereinten Nationen …
    … Er blickte mit einer ganz schlimmen Atemwegsinfektion auf den Balkon seiner Eltern, viel zu krank, um das Feuerwerk gucken zu gehen, selbst das auf der Wiese der Wohnanlage, aber seine Eltern veranstalteten für ihn allein ein eigenes Feuerwerk auf dem Balkon, damit er es von seinem Bett aus sehen konnte …
    Die schartige Stelle riß immer weiter auf, und das Licht floß jetzt heraus. Einen Moment lang – nur einen Moment – war er enttäuscht, daß die schöne Dunkelheit so leicht und so achtlos verdorben wurde. Doch im Schwarzen schwimmend konnte er nicht den Blick von dem Licht abwenden, das sich vor ihm zu einem Feld regelmäßiger Formen und winkliger Linien ausdehnte, zu einem Netzmuster von weißen Linien auf schwarzem Untergrund, die zu schwarzen Linien auf weißem Untergrund wurden …
    … Decke …
    … Und plötzlich begriff er, daß er auf dem Rücken lag und zur Decke eines Anstaltszimmers hinaufschaute,