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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Decke.
    In einem anderen hielt Paul etwas Glänzendes in der Hand. Als er sah, daß es eine Feder war, verspürte er ein kurzes Aufflackern von Freude und Hoffnung, obwohl er keine Ahnung hatte, wieso, aber die Feder war noch zarter als ein Schmetterlingsflügel; er gab sich zwar alle Mühe, seine Traumhand ruhig zu halten, aber trotzdem zerkrümelte das leuchtende blaugrüne Ding zu irisierendem Pulver.
    Was habe ich getan? dachte er, als das Bewußtsein wiederkehrte und die Wellen auf ihn niederklatschten. Selbst wenn das hier bloß eine Simulation ist, warum bin ich drin? Wo ist mein Körper? Warum werde ich durch eine bizarre Suche gegängelt, deren Sinn und Zweck ich nicht verstehe, wie ein dressierter Hund, den man zwingen will, Shakespeare zu spielen?
    Es gab natürlich keine Antwort, und selbst seine verzweifelte Wiederholung der immergleichen Fragen wurde allmählich zu einer Litanei des Grauens. Vielleicht gab es überhaupt kein Darum, nur einen endlosen Katalog von Warums. Vielleicht war sein Leiden bloß ein Spiel des Zufalls.
    Nein. Die Augen zusammengepreßt, um sie vor dem brennenden Salz zu schützen, von den Wogen durchgeschüttelt wie die gefesselt über dem Sattel liegende Geisel eines berittenen Straßenräubers, rang er um inneren Halt. Nein, da spricht wieder der, der sich treiben läßt. Ich habe einen Fehler gemacht, aber ich habe versucht, etwas zu tun. Das ist besser, als sich treiben zu lassen. Viel besser.
    Gequält hast du die Frau, wandte ein anderer Teil von ihm unwiderlegbar ein. Penelope hat um ihr Leben gebangt. Ist das besser? Vielleicht solltest du doch lieber wieder nutzlos sein.
    Es hatte keinen Zweck, mit sich selbst zu hadern, begriff er, während die Nacht dahinkroch und die Wellen sich über ihn ergossen wie in einer endlosen Slapsticknummer aus dem Variete der Hölle. Das Elend kannte immer sämtliche Schwachstellen. Das Elend behielt immer recht.
     
    Bei Tagesanbruch stellte sich die Lage ein wenig besser dar, wenigstens in seinem Innern: Paul hatte sich mit seinen streitenden Stimmen geeinigt und eine Art Detente erzielt. Er war mit sich selbst übereingekommen, daß er der Abschaum des Universums war, hatte jedoch als mildernde Umstände Amnesie, Todesangst und Verwirrung angeführt. Es gab kein abschließendes Urteil, wie es schien. Noch nicht.
    Die Wirklichkeit, wie sie sich seinen schmerzenden Augen darbot, sah anders aus. Das leere Meer erstreckte sich in alle Richtungen. Seine Arme waren so verkrampft, daß er den Eindruck hatte, selbst wenn er wollte, könnte er das Mastteil gar nicht loslassen, doch er vermutete, daß diese Situation nicht ewig anhielt. Irgendwann würde er abgleiten und sich der vollen Umarmung der Wasser überlassen, die er so lange verschmäht hatte.
    Der Gedanke seines bevorstehenden Ertrinkens war ihm vertraut, ja geradezu lieb geworden, als er das erste Zeichen von Land erblickte.
    Zunächst schien es nur ein winziger weißer Punkt am Horizont zu sein, einer von Millionen Wellenkämmen, aber bald ragte es selbst über die höchsten Wogen deutlich hinaus, wuchs langsam dem fast wolkenlosen blauen Himmel entgegen. Mit der Versessenheit eines Idioten oder eines Künstlers starrte Paul es nahezu eine Stunde lang an, bevor ihm endlich klar wurde, daß er den Gipfel eines Inselberges vor sich sah.
    Einen Arm aus dem Klammergriff um die Spiere zu lösen dauerte qualvoll lange, aber schließlich war er soweit, daß er damit paddeln konnte.
    Die Insel kam viel schneller näher, als eigentlich möglich war, und der Teil von ihm, der den eigenen Willen noch nicht völlig aufgegeben hatte, schöpfte den Verdacht, daß das System bestimmte Aspekte der Erfahrung beschleunigte, um schneller zu den Stellen zu kommen, die die Designer wahrscheinlich für die Glanzlichter hielten. Wenn das stimmte, hatte Paul keinerlei Einwände gegen die Aufweichung der Realität und hätte liebend gern noch mehr davon gehabt.
    Er erkannte jetzt, daß die Spitze des Berges nur der höchste Punkt einer ganzen Kette war, die einen natürlichen Hafen umschloß. Eine stolze Stadt lag daran, weiße Lehmhäuser den ganzen Hang entlang, von steinernen Mauern umschlossen, aber die Strömung trieb ihn an der Bucht und dem breiten Hafendamm vorbei zu einer anderen Stelle mit einem flachen, hellen Sandstrand und Felsenbecken. Der langsame, stetige Zug des Meeres gab ihm zum erstenmal seit langem das Gefühl, daß die Designer, oder sonstwer, tatsächlich nach ihm Ausschau hielten. Was

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