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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mir«, ließ Klement sich mit seinem tonlosen Stimmfall vernehmen, »warum … ist es wichtig, oben und unten?«
    »Was?«
    Er machte eine steife Geste, die genausogut seinen eigenen Körper wie die Spanne zwischen dem werdenden Boden und dem silberigen Himmel bezeichnen konnte. »Ist es … deswegen? Oben und unten?«
    Sie fand es unerträglich, in diese Augen zu schauen, hinter denen etwas Gefangenes, Verlorenes um Ausdruck rang. »Ich weiß nicht, wovon du redest.« Sie kehrte ihm den Rücken zu und ging wieder los. Klement stand wie angewurzelt. Renie war schon im Begriff, noch einmal stehenzubleiben, da setzte er sich abrupt in Bewegung und folgte ihren Schritten, als wollte er genau in ihre Spuren treten. Sie schüttelte den Kopf. Vielleicht war er dermaßen gestört, daß von seinem früheren Ich praktisch nichts mehr übrig war, aber selbst wenn, machte ihr das seine Gesellschaft auch nicht angenehmer.
    Was also war diese Umgebung hier? Jongleur hatte behauptet, sie sei kein Teil des Netzwerks, aber wie konnte das sein? Es war keine Zauberei. Es mußte eine Erklärung geben.
    Ein Stückchen vor ihr ertönte ein feuchtes Murmeln. Renie erklomm eine durchscheinende Erhebung, wobei sie interessiert feststellte, wie sehr sich die Sicht veränderte, wenn man einmal die sture Horizontale verlassen konnte, und erblickte eine schimmernde Linie, die weniger solide aussah als das, was beiderseits davon lag.
    Ein Fluß, dachte sie. Dann: Könnte es der Fluß sein?
    Sie wartete, bis sie sicher war, daß Klement sie gesehen hatte, und schritt dann zum Ufer des Flusses hinunter. Sie hatte jetzt eine Richtung – stromaufwärts, was immer das heißen mochte – und war entschlossen, ihr zu folgen. Sie wußte, daß !Xabbu genauso handeln würde, wenn er vor ihr wäre, womit ihre Chancen, einander zu finden, erheblich gestiegen waren. Der Gedanke machte ihr das Herz etwas leichter.
    Wenn schon nichts zu begreifen ist, sagte sie sich, gibt es wenigstens noch Menschen, die du liebst, Menschen, die du brauchst.
    Doch wenn diese unbegreifliche Welt etwas war, das der Andere erfunden hatte, was stellte sie dann dar? War sie ein Konstrukt innerhalb des Netzwerks, das aber irgendwie nicht zum Netzwerk gehörte? Und warum die geflissentliche Nachahmung der Realität? Warum Hügel und ein Himmel, genau wie im Flickenland, und hier sogar noch ein Fluß? War das Betriebssystem von einer dunklen Ahnung ausgegangen, daß Menschen eine menschliche Umgebung brauchten? Aber wozu brauchte das Betriebssystem Menschen?
    Auf seine vage Art glich das Flußtal mittlerweile einem Tal in der wirklichen Welt, mit Gras und Steinen und sogar ein paar Baumgruppen. Selbst der Himmel, der tagelang so einförmig grau gewesen war wie eine unentwickelte Ebene in einem VR-System, hatte eine gewisse Tiefe gewonnen, obwohl er immer noch trübe und das Licht diffus war, so als ob diese ganze gespenstische Welt sich im Innern einer riesigen Perle befände.
    Und wenn !Xabbu jetzt gar nicht vor mir ist? dachte sie plötzlich. Wenn er sich in dem Grau verirrt hat – schließlich haben er und Sam das Feuerzeug nicht. Ich sollte anhalten, eine Weile warten. Aber wenn sie nun doch vor mir sind? Sie überlegte, ob sie vielleicht ein paar Stöcke oder einige der glasklaren Schilfstengel, die am Flußrand wuchsen, zu einer Mitteilung zusammenlegen sollte, doch entschied sich dann dagegen. Wenn sie hinter ihr waren und nur ein kleines Stück höher am Hang gingen, konnte es sein, daß sie ein aus den Stoffen dieses Environments bestehendes Notsignal übersahen – es wäre, als wollte man schmelzendes Eis in einem Glas Wasser sehen. Sie sollte abwarten, bis die Dinge um sie herum mehr Substanz hatten. Dann konnte sie mit den Stöcken alles schreiben, was sie wollte: Hilfe! Bin gefangen in meiner eigenen Verzweiflung! Oder gar: Brauche dringend mehr Realität!
    Sie setzte sich auf etwas, das einmal ein umgestürzter Baumstamm gewesen war – oder eines Tages einer sein würde –, um Klement Gelegenheit zu geben, sie wieder einzuholen. Ein Hain umrißhafter Bäume schwankte in einem nicht wahrzunehmenden Wind, aber ohne ein Geräusch zu machen, nicht einmal das leiseste Blätterrascheln.
    Nach ungefähr einer Viertelstunde war Klement immer noch nicht aufgetaucht.
    Widerwillig kraxelte Renie die Uferböschung hinauf und schaute zurück über das wellige Land, das sie gerade durchquert hatte, doch er war nirgends zu sehen, und in der einfarbigen Weite konnte er sich schwer

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