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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Erinnerung daran. Der hinter ihr liegende Schlaf kam ihr wie eine lange Ohnmacht vor, der Angriff auf Jongleurs System Wochen her. Sie sah nach Dread auf seinem Komabett und begab sich auf der Suche nach etwas Eßbarem, das nicht aus einer Fertigtüte kam, in den grauen Tag hinaus. Erst da stellte sie fest, daß sie in Wirklichkeit nur zehn Stunden geschlafen hatte, was gar nicht so wild war.
    Von wegen, Anwin, du wirst alt, sagte sie sich. Früher hättest du zwei Stunden max geschlafen und dich dann sofort auf die Daten gestürzt.
    Mit zwei Hibiskusmuffins, einem Fruchtsalat und abermals Kaffee im Magen kehrte sie gestärkt in den Loft zurück, schloß ihre Can an und nahm sich die Downloads von Jongleur vor. Sie hatte den kindischen Wunsch, Dread zu wecken, ihn von seiner Liegemaschine zu zerren und ihm zu zeigen, was sie geleistet hatte.
    Was ist das jetzt – die Papinummer? Sie ärgerte sich über ihre Anerkennungssucht. »Guck, ich bin ein braves Mädchen. Siehst du, was ich für dich gemacht habe?«
    Nach einer guten Stunde Vorarbeit, in der sie etliche der gralsspezifischen Codewörter entdeckt hatte, so daß sie eine beträchtliche Zahl von Dateien ungeprüft direkt aus dem Wust herausziehen und auf dem entsprechenden Haufen ablegen konnte, erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. Es war eine VR-Datei, oder wenigstens war sie mit einem VR-Code versehen, aber außerdem war noch ein seltsam verschlüsselter Link darin eingebettet. Sie fand sich in einer Gruppe weitaus profanerer Dateien, die sie lose unter den Oberbegriff »Privates« faßte – Vollmachten, Verbindungen zu diversen Anwaltskanzleien und Finanzberatern, Anweisungen an die Unternehmensleitung der J Corporation . Sie hatte sich näher mit den Privatdaten beschäftigt, weil sie gehofft hatte, darin Vorschriften für den Betrieb des Otherlandnetzwerks in einem Notfall zu finden, denn jemand, der so alt war wie Jongleur, so ihre Überlegung, wollte doch bestimmt dafür sorgen, daß sein Lebenswerk ordentlich weitergeführt wurde, wenn er einmal nicht mehr dazu in der Lage war. Sie hatte nichts dergleichen entdeckt. Das Material sah ziemlich alltäglich aus, Regelungen, wie sie vermutlich jede mächtige, reiche Person traf, um im Krankheits- oder Todesfalle die Umstellung zu erleichtern, und so fiel die merkwürdige Datei um so mehr ins Auge.
    Sie war »Uschebti« betitelt, ein Wort, das Dulcy nicht kannte, aber nach dem, was Dread ihr über die Manien des Alten erzählt hatte, vermutete sie, daß es ägyptisch war. Die Datei war drei Jahre zuvor angelegt worden, und seitdem schien nichts dazugekommen oder verändert worden zu sein. Sie startete eine Schnellsuche in ihrem eigenen System und bekam mitgeteilt, »Uschebti« sei in der Tat ein altägyptisches Wort und bezeichne eine ins Grab mitgegebene Figur. Es folgten noch genauere Angaben, aber ein rasches Überfliegen erbrachte nichts Sachdienliches. Gespannt öffnete Dulcy die Datei.
    Ein dunkeläugiger Mann erschien derart prompt vor ihr, daß sie erschrak. Er war vielleicht Mitte sechzig, hatte gepflegte weiße Haare und ein winziges Lächeln auf seinem faltigen Gesicht. Der Bildausschnitt vergrößerte sich, und man sah, daß er hinter einem Schreibtisch in einem altmodischen Büro saß, das mit seinen Teakmöbeln und den schweren Vorhängen an den Fenstern gut in ein Botschaftsgebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert gepaßt hätte.
    Mein Gott, dachte sie. Das ist Jongleur. Aber diese Datei ist erst wenige Jahre alt, und er kann in den letzten hundert Jahren unmöglich so ausgesehen haben.
    Was natürlich in der VR nichts zu besagen hatte. Ist doch völlig schnurz, wann das aufgenommen wurde. Dieser Kerl tritt sonst die meiste Zeit als irgend so ein ägyptischer Gott auf …
    Der alte Mann vor ihr nickte kurz, dann sprach er mit einem britischen Oberschichtenglisch, in dem noch ganz leicht ein anderer, eher ausländischer Ton schwang.
    »So begegnen wir uns denn, mein Sohn. Solange ich lebte, war uns das verwehrt. Gerne möchte ich dir alles eröffnen, und dann wirst du verstehen, warum dein Leben diesen Gang nehmen mußte. Aber erst mußt du mir deinen Namen sagen, den wahren Namen, den du bekommen hast, daraufhin können wir zu den prosaischeren Teilen der Identitätsprüfung übergehen.«
    Mein Sohn? Dulcy war sprachlos. Sie hatte offensichtlich den ersten Teil einer doppelten Verschlüsselung aktiviert, und jetzt wartete Jongleur – beziehungsweise sein aufgezeichneter Sim oder sein Geist oder

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