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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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darüber im Bilde sein, da er meine Lebensgeschichte in allen scheußlichen Einzelheiten kennt. Ich bin kein Amerikaner. Nicht von Geburt. Ich wurde in Irland geboren, genauer gesagt in Nordirland, wie der Teil des Landes damals hieß. Meine Muttersprache ist Gälisch.«
    »Du hörst dich nicht irisch an …«
    »Ich kam in sehr jungen Jahren hierher, zu einer Tante und einem Onkel. Meine Eltern gehörten einer extremen katholischen Sekte in Ulster an. Sie starben beide früh – das ist eine Geschichte für sich –, und ich wurde nach Amerika geschickt. Doch solange sie am Leben waren, wurde ich zu einem Soldaten des Glaubens erzogen und wäre wahrscheinlich einer geworden, wenn sie nicht gestorben wären.«
    »Du meinst sowas wie … die IRA?«
    »Ach, viel kleiner und viel radikaler. Eine Splittergruppe, die sich in der Zeit bildete, als es mit dem Friedensprozeß langsam ernst wurde, und die bei der Aussöhnung nicht mitmachte. Aber das gehört alles nicht zur Sache.«
    »Verzeihung.«
    »Nein, nein.« Sellars nickte freundlich. »In diesem Kuddelmuddel von Geschichten, in dem wir alle leben, weiß man nie so genau, was wichtig ist und was nicht. Aber Tatsache ist, daß ich aus einem streng katholischen Elternhaus stamme. Und jetzt, wo ich bald am Ende meines Weges angekommen sein werde, Herr Ramsey, merke ich, daß ich mich nach einer Möglichkeit sehne, zu beichten.«
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff. »Du willst … mir beichten?«
    »Gewissermaßen.« Sellars stieß wieder sein keuchendes Lachen aus. »Wir haben keinen Priester unter uns. Als Anwalt bist du sozusagen der nächste in der Reihe, oder?«
    »Da komme ich wirklich nicht ganz mit.«
    »Es ist nichts Religiöses, Herr Ramsey. Ich bin schlicht sehr müde und einsam. Ich brauche jemanden, der mir hilft, und die erste Hilfe wäre, daß mir jemand zuhört. Ich führe diesen Krieg schon zu lange allein. Wir sind in einer verzweifelten Lage, und ich traue mir nicht mehr zu, alle Entscheidungen allein zu treffen. Aber du mußt die ganze Geschichte kennen.«
    Ramsey entschuldigte sich einen Moment, dann ging er ins Bad, um einen Schluck Wasser direkt aus dem Hahn zu trinken und sich das Gesicht frisch zu machen. »Es klingt so, als wenn du irgendwelche großen Geheimnisse preisgeben wolltest«, sagte er, als er zurückkam. »In was willst du mich da hineinziehen?«
    »Liebe Güte, du bist doch Anwalt, oder? Hör mich bitte einfach an, dann kannst du selbst urteilen.«
    »Warum nicht der Major? Oder Kaylene Sorensen – sie ist eine lebenskluge Frau, auch wenn sie ein bißchen altmodische Ansichten hat.«
    »Weil ich bereits mehrfach ihr Kind in Gefahr gebracht habe und sie Christabel jetzt bei sich haben. Sie können nicht objektiv sein.«
    Ramsey trommelte mit den Fingern auf die Armlehne der Couch. »Na schön. Sprich.«
    »Gut.« Sellars ließ seinen Oberkörper so langsam und vorsichtig nach hinten auf die Sesselpolster sinken, wie Museumswächter ein hochzerbrechliches Meisterwerk versetzen.
    Und vermutlich ist er genau das, dachte Ramsey, wenn alles stimmt, was er sagt.
    »Zuerst einmal«, begann Sellars, »bin ich auf das Projekt der Bruderschaft – das Otherlandnetzwerk – nicht ganz zufällig gestoßen.« Er runzelte die Stirn. »Ich glaube, ich hebe mir den Teil der Geschichte für später auf. Fürs erste reicht es aus zu wissen, daß ich, als mir langsam aufging, was ich entdeckt hatte, ihre Fortschritte mit wachsender Beunruhigung verfolgte. Und das nicht rein aus selbstlosen Motiven, Herr Ramsey. Die Bedrohung durch die Bruderschaft machte mich nicht zuletzt deshalb verzweifelt, weil ich wußte, daß sie die Verzögerung meines allerwichtigsten Projektes zur Folge hatte.«
    »Das da wäre …?« fragte Ramsey nach einer Weile.
    »Das da ist, zu sterben. Nicht daß mir so etwas schwerfallen würde. Herr Ramsey. Im Gegenteil, mit den Nanoapparaten, die ich mir beschafft habe, und meiner ursprünglichen Mikroelektronik habe ich so weitgehende Kontrolle über meinen Körper, daß ich die Blutzufuhr zu meinem Gehirn mit einem Gedanken abstellen könnte.«
    »Aber … warum warst du dann noch am Leben? Als du das mit dem Gralsprojekt entdecktest?«
    »Weil ich seit langem zwei Seiten gegeneinander abwäge, Herr Ramsey. Auf der einen Waagschale liegen der normale Lebenswille, meine Freuden und meine Interessen, auch wenn sie noch so einsam und begrenzt sind. Auf der anderen liegen die Schmerzen. Wegen meiner vielen Operationen, der

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