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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mehrere Wochen in einem feuchten Betontunnel unter Major Sorensens Stützpunkt gelebt. Daß ich in den letzten paar Tagen mehrere Motelzimmer von innen sehen durfte, bereitet mir ein gewisses Vergnügen, auch wenn die Ausstattung in der Tat einiges zu wünschen übrigläßt.«
    Ramsey belegte sich im stillen mit Schimpfworten. »Entschuldige. Das war egoistisch von mir …«
    »Bitte.« Sellars hob einen dünnen Finger. »Keine Entschuldigungen. Ich durfte nicht hoffen, Verbündete zu finden, und jetzt habe ich mehrere. Du bist ein Freiwilliger in einer gefährlichen Mission, du hast das Recht, dich über die Unterkünfte zu beklagen.«
    Catur Ramsey schnaubte. »O ja, und dabei muß ich selbst zugeben, daß ich schon viel schlimmere gesehen habe. Ich … ich bin bloß schlechter Laune. Der Anruf bei Orlandos Eltern …«
    »Schlimm?«
    »Sehr.« Plötzlich sah er auf. »Jemand ist bei ihnen zuhause gewesen und hat Orlandos Dateien durchforscht.« Er schilderte Sellars die Einzelheiten. Während Ramsey redete, wirkte das faltige Gesicht ruhig und nachdenklich, aber die Augen waren so gut wie leer, als ob der alte Mann bereits damit begonnen hätte, über sein unsichtbares Verbindungsnetz Nachforschungen anzustellen und Erkundigungen einzuholen.
    »Ich muß mir das noch genauer anschauen«, war sein ganzer Kommentar, als Ramsey geendet hatte, dann seufzte er. »Ich bin sehr müde.«
    »Willst du dich ein wenig schlafen legen? Ich gehe gern ein Weilchen hinaus, mir die Beine vertreten …«
    »Das meinte ich nicht, aber danke für das Angebot. Hast du einen Rückruf von Olga Pirofsky bekommen?«
    »Noch nicht.« Ramsey ärgerte sich immer noch über sein Verhalten. »Ich hätte diese erste Mitteilung niemals schicken dürfen, du hattest völlig recht. Sie muß gedacht haben, ich wollte sie zurechtweisen, ihr sagen, daß sie auf der Stelle umkehren und zurückfahren soll.« Er blickte Sellars an. »Obwohl ich gestehen muß, daß ich nach wie vor nicht so recht weiß, warum ich ihr das eigentlich nicht sagen sollte.«
    Sellars erwiderte den Blick mit seinen unergründlichen gelben Augen, dann schüttelte er den Kopf. »Verflixt«, murmelte er leise. »Ich vergesse ständig, daß ich meinen Rollstuhl nicht mehr habe.« Mit großer Anstrengung setzte er sich um, so daß er Ramsey direkter vor sich hatte. »Wie gesagt, Herr Ramsey, ich bin sehr müde. Mir bleibt nicht viel Zeit, und wenn diese Zeit um ist, werden sich meine ganzen Pläne und Notwendigkeiten erledigt haben. Wie Frau Dickinson es einmal ausdrückte: ›Da ich nicht für den Tod die Zeit fand – / Fand er freundlich sie für mich …‹« Sein Kopf wackelte auf seinem dünnen Hals.
    »Du bist… krank?«
    Sellars gab ein trockenes Lachen von sich, das klang, wie wenn der Wind über die Mündung eines Rohrs streicht. »Liebe Güte, Herr Ramsey, sieh mich an! Ich bin seit fünfzig Jahren nicht mehr gesund. Aber auch in dieser Zeit ist es mir schon besser gegangen als jetzt, das steht fest. Ja, ich bin krank. Ich sterbe. Es ist eine seltsame Ironie, daß ich genau dasselbe versuche wie die Gralsbrüder: dem drohenden physischen Ende zuvorzukommen. Aber sie wollen den Lebensfunken in sich erhalten. Ich werde das Verlöschen dankbar hinnehmen, wenn nur meine Arbeit getan ist.«
    Ramsey war immer noch weit davon entfernt, diesen seltsamen Mann zu verstehen. »Wieviel Zeit bleibt dir noch?«
    Sellars ließ die Hände in den Schoß sinken, wo sie wie hingeworfene Zweige liegenblieben. »Oh, vielleicht ein paar Monate, wenn ich jegliche Anstrengung vermeide – aber die Chancen dazu stehen schlecht.« Ein lippenloses Grinsen entblößte seine Zähne. »Ich bin derart eingespannt, daß ich vierundzwanzig Stunden am Tag arbeiten könnte, ohne mich vom Fleck zu bewegen, und jetzt habe ich noch das zusätzliche Vergnügen, in der Radmulde von Major Sorensens Van zu reisen.« Er hielt die Hand hoch. »Nein, bitte, um Mitleid geht es mir wirklich nicht. Aber etwas anderes könntest du für mich tun, Herr Ramsey.«
    »Nämlich?«
    Sellars’ Schweigen schien Catur Ramsey eine halbe Minute zu dauern. »Vielleicht«, sagte er schließlich, »sollte ich zuerst ein paar Sachen erklären. Ich habe dir und den Sorensens nicht alles erzählt, was es über mich zu wissen gibt. Verwundert dich das?«
    »Nein.«
    »Das dachte ich mir. Nun gut, ich möchte dir eine dieser weniger spannenden, aber vielleicht nicht ganz irrelevanten Sachen erzählen. Major Sorensen müßte eigentlich

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