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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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stirnrunzelnd um. »Sie muß hier irgendwo sein … Moment.«
    Als sie aus dem Bereich des Bildschirms trat, bemühte sich Ramsey, die jäh aufschießende Panik zu unterdrücken. Nicht! ermahnte er sich. Hör auf damit! Du wirst noch zu einem von diesen chronischen Paranoikern. Es könnten doch echte Ermittler gewesen sein, vielleicht aus dem Krankenhaus, vielleicht von irgendeiner staatlichen Spezialeinheit. Tandagore macht in letzter Zeit Schlagzeilen, könnte doch sein, daß den Behörden der Wind ins Gesicht bläst. Aber er glaubte es nicht. Selbst wenn die mit dem Gral zusammenhängen, was soll’s, Mann, was soll’s? Nur die Ruhe bewahren. Du hast niemals mit Orlando Gardiner über ein heikles Thema geredet, hast ihn überhaupt nie persönlich kennenlernt, nur einen leblosen Körper in einem Komabett.
    Aber der Käfer. Beezle Bug. Falls sie dieses Gear je finden, das Beezleprogramm, was wird es dann in seinem Speicher haben?
    Bis sie wieder auftauchte, hatte er sein flatterndes Herz wenigstens halbwegs beruhigt.
    »Ich kann sie nicht finden«, teilte sie mit. »Es war, glaube ich, bloß ein Name und eine Nummer. Wenn ich sie finde, willst du, daß ich dir die Angaben zuschicke?«
    »Ja, bitte.«
    Sie schwieg einen Moment. »Es war eine schöne Feier. Wir haben ein paar Lieder gespielt, die er besonders gern mochte, und ein paar von den Leuten aus der Spielwelt, bei der er mitgemacht hat, waren auch da. Ein paar andere aus diesem Mittland sandten eine Art Tribut, der auf dem Wandbildschirm der Kapelle gezeigt wurde. Voll von Ungeheuern und Burgen und solchen Sachen.« Sie lachte, nur ganz leise und traurig, aber es brachte die Maske zum Zerbröckeln: Ihr Kinn zitterte, ihre Stimme wurde schluchzend. »Es … es waren noch Jugendliche! Kinder! Wie Orlando. Ich hatte sie gehaßt, weißt du. Ihnen die Schuld gegeben.«
    »Hör zu, Vivien, ich bin offiziell nicht euer Anwalt, aber wenn noch einmal Leute kommen und Orlandos Dateien sehen wollen, rate ich euch dringend, es nicht zuzulassen. Es sei denn, sie sind von der Polizei und können sich ordentlich ausweisen. Verstehst du mich?«
    Sie zog eine Augenbraue hoch. »Was hat es damit auf sich, Herr Ramsey?«
    »Ich … ich kann nicht offen reden. Ich verspreche, dir mehr zu erzählen, sobald ich kann.« Er überlegte: Waren sie irgendwie in Gefahr, Vivien und Conrad? Er konnte es sich nicht vorstellen. Das letzte, was diese Gralstypen wollen konnten, war, daß eine Tandagoretragödie zu einer größeren Sensationsmeldung aufgebauscht wurde. »Ihr… ihr solltet …« Er seufzte. »Ach, ich weiß nicht. Paßt einfach aufeinander auf. Ich weiß, daß das im Augenblick belanglos ist, aber es kann durchaus sein, daß euer Leiden nicht gänzlich umsonst sein wird. Das macht es natürlich nicht besser, und ich kann höchstens vermuten, wie schrecklich das für euch sein muß, aber …« Ihm fiel einfach nichts mehr ein, was er noch sagen konnte.
    »Ich bin mir nicht ganz sicher, worauf du hinauswillst, Herr Ramsey.« Sie war ein wenig zurückgewichen, sei es aus instinktivem Mißtrauen vor allem, was sie eventuell zwingen konnte, sich tiefer mit dem Schrecklichen auseinanderzusetzen, sei es einfach, weil die Anstrengung eines normalen menschlichen Gesprächs sie erschöpft hatte.
    »Ach, schon gut, Frau Fennis. Vivien. Wir sprechen ein andermal darüber.«
    Er überließ es ihr, das Gespräch zu beenden und abzuschalten. Mehr konnte er im Augenblick nicht für sie tun.
     
    Sellars spürte seine Stimmung und besaß die Güte, Ramsey eine Weile in sich zusammengesunken auf der Couch sitzen zu lassen, wo er so tat, als betrachte er den Wandbildschirm. Es war ein mindestens zwanzig Jahre altes Modell, ein Plasmacolor, der volle fünf Zentimeter von der Wand abstand. Die Oberseite des Gehäuses war verstaubt, der Bildschirm selbst nur geringfügig größer als das kitschige Gemälde eines Segelbootes, das über der Couch hing.
    »Mir fällt auf einmal wieder ein, wie sehr ich Motels hasse«, sagte Ramsey. Das Eis in seinem Glas war geschmolzen, aber er konnte sich nicht einmal gerade hinsetzen, geschweige denn zur Eismaschine im Flur sehen. »Die geschmacklosen Bilder, die stillosen Möbel, der Dreck, den man in allen Winkeln findet, wenn man zu genau hinsieht…«
    Sellars wackelte mit dem Kopf und lächelte. »Ach, Herr Ramsey, das ist alles eine Frage des Blickwinkels. Ich habe Jahrzehnte in einem kleinen Haus zugebracht, das meine Gefängniszelle war. Zuletzt habe ich

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