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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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machte, daß es sie für nur sehr begrenzt zurechnungsfähig hielt.
    Es dauerte eine Weile, bis Renie merkte, daß sie selbst ohne Smonkin und seine magische Kerze den Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Gefährtin gut erkennen konnte. »Es wird heller!«
    Das Steinmädchen deutete auf die umliegenden Hügel. Ein schmaler leuchtender Streifen hatte sich über die Kuppe geschoben, ein beängstigend langer Streifen. Von Renie mit höchst gemischten Gefühlen betrachtet, stieg der Vollmond am Himmel auf. Er bedeckte einen überraschend großen Teil des Firmaments, eine blauweiße Scheibe, die trotz ihrer Riesenhaftigkeit kaum mehr Licht abgab als der normale Mond, wie sie ihn kannte.
    »Das … das ist der größte Mond, den ich je gesehen habe.«
    »Hast du denn schon mehr als einen gesehen?«
    Renie schüttelte den Kopf. Lieber nichts sagen. Dies war eine Traumwelt, wahrscheinlich nicht einmal von einem Menschen geträumt, und es hatte keinen Zweck, mit den Details allzu pingelig zu sein.
    Das Steinmädchen führte sie aus dem Dorf und weiter durch das Tal. Zu beiden Seiten nahm Renie noch andere dunkle Umrisse an den Hängen wahr, die verrammelten Häuser der nächsten Siedlung. Licht schimmerte durch Vorhangritzen, und Funken flogen aus Schornsteinen, aber ob es sich ebenfalls um Schuhe oder um andere Kleidungsstücke handelte, konnte sie nicht erkennen.
    »Und wo ist dieser Baum?« erkundigte sie sich, nachdem sie vielleicht eine Viertelstunde unter dem gewaltigen und doch erstaunlich milden Mond dahingegangen waren.
    »Im Wald.«
    »Aber hast du nicht gesagt, du hättest ihn schon mal gesucht, und da wäre er nicht gewesen.«
    »War er auch nicht. Der Wald war weg.«
    »Weg?« Renie blieb stehen. »Moment mal, wohin gehen wir dann? Ich will nicht die ganze Nacht bloß in der Gegend rumlaufen, ich will meine Freunde finden!« Der Gedanke, daß sie möglicherweise die Entfernung zwischen sich und !Xabbu noch vergrößerte oder, noch schlimmer, daß er in dieser mondbeherrschten Nacht ganz in ihrer Nähe umherirrte, versetzte ihr einen scharfen Stich. Sie hatte versucht, nicht an ihn zu denken, aber es war ein überaus heikles Denkverbot, das jeden Augenblick platzen konnte wie eine Seifenblase.
    Das Steinmädchen drehte sich zu ihr um und stemmte die Stummelhände in die Hüften. »Wenn du Antworten haben willst, mußt du mitkommen und einen Wutsch sagen. Wenn du den Wutschbaum finden willst, mußt du erst den Wald finden.«
    »Er … er bewegt sich?«
    Ihre kleine Führerin konnte nur den Kopf schütteln. »Ich versteh dich nicht. Ich will dir doch helfen. Kommst du jetzt mit oder nicht?« Aller festen Entschlossenheit zum Trotz war ein flehender Unterton durchzuhören.
    Da kam Renie ein Gedanke. »Könntest du vielleicht eine Landkarte zeichnen? Vielleicht würde ich es dann besser verstehen.« Sie sah sich um und entdeckte einen Stock, mit dem sie einen Strich auf den Boden zog, dick, damit er bei dem fahlen Mondschein zu erkennen war. »Okay, das ist die Straße, die wir gerade gekommen sind. Hier, ich zeichne noch ein paar Schuhe als Häuser ein. Das da sind die Hügel. Und wir sind jetzt hier. Kannst du ungefähr angeben, wohin wir gehen?«
    Das Steinmädchen blickte eine ganze Weile erst den Boden, dann Renie an und kniff dabei seine Lochaugen zusammen, als guckte es in die grelle Sonne. »Bevor ich dich getroffen habe«, fragte es mit einer gewissen Behutsamkeit, »bist du da irgendwie … hingefallen? Vielleicht auf den Kopf?«
     
    Als sie schließlich die mit dichtem Buschwerk bedeckten Hänge erreichten, die laut dem Steinmädchen die Ränder des Waldes bildeten, hatte Renie halbwegs eingesehen, wie unmöglich ihr Ansinnen war. Es konnte keine Landkarte geben, weder für diesen Gang noch für irgendeinen anderen. Offenbar waren Landkarten in diesen Breiten gänzlich unbekannt, und das aus einem sehr einleuchtenden Grund.
    Es sieht so aus, als gäbe es keine richtigen Entfernungen von hier nach da, sinnierte sie. Hätte ich mir eigentlich denken können. Die andern Simulationen sind von Menschen für Menschen gebaut und zwar so, daß diese sich darin zurechtfinden können wie in der wirklichen Welt. Aber warum sollte eine Maschinenintelligenz versuchen, so etwas wie Nähe und Ferne oder geographische Zusammenhänge nachzubilden, Sachen, die für sie völlig bedeutungslos sind?
    Soweit sie sehen konnte, lag bestimmten Dingen wie zum Beispiel den Dörfern eine Art Plan zugrunde oder wenigstens eine gewisse

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