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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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kommen. Wenn es aus dem Zimmer entfernt werden muß, hinterlaßt es bitte an der Motelrezeption oder setzt euch mit Rechtsanwalt C. Ramsey in Verbindung.« Sie fügte noch seine Adresse hinzu und unterschrieb.
    Sie war bereits wieder am Schrank, als der Gedanke an den kleinen Mischa sie abermals befiel. Und wenn jetzt doch etwas passiert war? Wenn man ihm nicht seine Medizin verabreichte, bekam er wieder diese schrecklichen Anfälle. Sie hatte es ihnen mehrfach erklärt, seinen neuen Besitzern, aber wer wußte schon, wie sehr solche Leute achtgaben?
    Armer kleiner Kerl! Ich habe ihn an Fremde weggegeben. Ihn im Stich gelassen.
    Wieder bekam sie feuchte Augen. Still vor sich hinschimpfend setzte sich Olga aufs Bett, nahm das Pad auf den Schoß und fing an, Mitteilungen zu öffnen.

Kapitel
Der Wutschbaum
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Tod des Generals immer noch von Geheimnis umwittert
    (Bild: Yacoubian bei einem Treffen mit Präsident Anford)
    Off-Stimme: Der Tod von Brigadegeneral Daniel Yacoubian in einer Hotelsuite in Virginia hat eine Reihe erstaunlich hartnäckig grassierender Gerüchte ausgelöst, deren Krönung die Erklärung von Edward Pilger ist, einem der Leibwächter des Generals, seiner Meinung nach sei Yacoubian in einen geplanten Putsch gegen die amerikanische Regierung verstrickt gewesen. Die Journalistin Ekaterina Slocomb, die vor einiger Zeit eine Kurzdoku über den General für den Nachrichtenknoten Beltway produziert hat, findet die Vorstellung absurd.
    (Bild: Ekaterina Slocomb im Studio)
    Slocomb: »Das gibt doch keinen Sinn. Yacoubian war mit vielen mächtigen Leuten befreundet. Warum sollte er oder sonst einer von ihnen eine Regierung stürzen wollen, die ohnehin nach ihrer Pfeife tanzt? Yacoubian war kein Ideologe, im Gegenteil, man könnte ihn als den archetypischen Pragmatiker bezeichnen …«
     
     
    > Eines Tages kommt der Tag, dachte sich Renie, da wird mir in diesem Netzwerk etwas widerfahren, und ich werde es begreifen. Aber offensichtlich war es noch nicht soweit. Ein kleines Wesen aus Erde, das sich »das Steinmädchen« nannte, stapfte entschlossen neben ihr her, auf beiden Seiten der dunklen, leeren Straße waren die riesigen Schuhe, in denen die einheimische Bevölkerung wohnte, zum Schutz vor der Nacht und ihren Gefahren fest verriegelt, und diese ganze Welt war direkt vor Renies Augen aus dem silberigen Nichts entstanden.
    »Ich verstehe immer noch nicht, warum du mit mir kommst«, sagte sie zu dem Kind. »Solltest du nicht lieber zuhause bleiben? Du hast doch meinetwegen schon genug Scherereien.«
    Das Gesicht des Steinmädchens war so düster wie die Straße. »Weil… weil … Ich weiß nicht. Weil alles ganz schlimm ist und niemand auf mich hört. Die Stiefmutter hört nie auf mich.« Es wischte sich trotzig die dunklen Punkte, die seine Augen waren, und Renie wunderte sich, wie ein Kind, das aus Erde und Steinen bestand, weinen konnte. »Das Auslöschen kommt näher, und der Wutschbaum ist nicht mehr da.«
    »Wie bitte? Ich dachte, da gehen wir hin, zu diesem Wutschbaum.«
    »Gehen wir auch. Wir müssen nur rausfinden, wo er grade ist.«
    Daran hatte Renie zu kauen, während sie die Außenbezirke des Schuhdorfs durchquerten. Es war rührend und verstörend zugleich. Die Bereitschaft des Mädchens, sich gegen die normale Ordnung ihres Lebens zu stellen, erinnerte Renie an Bruder Factum Quintus in der Hauswelt. Es war schwer vorstellbar, daß jemand einem bloßen Simulakrum einen derart flexiblen individuellen Charakter einprogrammierte, aber Beweise dafür hatte sie inzwischen mehr als genug gesehen. Etwas an dieser neuesten Simulation war jedoch anders, und nicht allein die Tatsache, daß sie anscheinend vom Andern selbst geschaffen worden war. Die verschüttete Erinnerung, die sich beim Anblick der Schuhbehausung des Steinmädchens und seiner buntscheckigen Geschwisterhorde in ihr geregt hatte, ließ ihr weiterhin keine Ruhe, kam aber nicht an die Oberfläche.
    Was weiß ich denn? Daß dieser Ort irgendeinem Kinderreim entsprungen ist – oder wahrscheinlich eher vielen Reimen und Liedern und Geschichten. In dem von der alten Frau im Schuh kam meines Wissens kein Steinmädchen vor. Martine meinte, sie hätte dem Andern ein Lied beigebracht, das mit dem Engel, das er letztens bei unserer Ankunft auf dem Berg gesungen hat. Vielleicht hat sie ihm ja auch Märchen erzählt.
    Doch damit bekam sie die ungreifbare Erinnerung auch nicht zu fassen.
    Sie hatten den Rand der dunklen Siedlung

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