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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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geplant, von Menschen für Menschen. Links, rechts, oben, unten – sehr praktisch, wenn man ein Mensch ist. Dem Andern ist das nicht so wichtig.«
    !Xabbu sah ihn gramerfüllt an, aber sagte nichts.
    »Willst du damit sagen, daß alles hier sich immerzu verändert?« fragte Sam. »Daß es keine Regeln gibt?«
    Jongleur hob einen Zweig vom Boden auf. Auch wenn die Landschaft mal mehr und mal weniger lichtdurchlässig war, fand Sam es irritierend, daß eine Umgebung, die ihnen einen derart üblen Streich spielen konnte, so normal aussah, so gewöhnlich.
    »Es könnte sein, daß wir an einen Ort kommen, wo es so gut wie keine ›Regeln‹ mehr gibt, wenn wir sie einmal so nennen wollen«, sagte der alte Mann, wobei er den langen Zweig zwischen den Fingern drehte. »Doch ich vermute, daß hier im Grunde recht feste Regeln herrschen, nur nicht von der Art, wie wir sie erwarten.« Er bückte sich und wischte mit dem Unterarm eine Stelle am Boden blank, dann zeichnete er mit dem Zweig etliche kleine Kreise nebeneinander, aufgereiht wie Perlen. »Das Gralsnetzwerk ist ungefähr so aufgebaut«, erklärte er. »Jeder Kreis eine Welt.« Er zog einen Strich durch die ganze Reihe der Kreise – der Faden, an dem die Perlen hingen. »Der große Fluß zieht sich durch alle und schließt am Ende jeder Welt eine andere Welt daran an. Wenn man den Fluß nie verläßt und nur die Durchgänge an den Enden der Simulationen benutzt, hat man irgendwann einmal sämtliche Welten passiert und kommt wieder an den Ausgangspunkt zurück, wo man von vorn anfangen kann.«
    Sam betrachtete die rohe Skizze. »Und? Wieso funktioniert das hier nicht? Wie sind wir vom Fluß abgekommen?«
    »Ich glaube nicht, daß wir von ihm abgekommen sind.«
    »Hä?«
    »Es gibt keinen Grund, weshalb diese Welt linear sein sollte, so wie das Gralsnetzwerk. Wir gehen davon aus, daß ein Fluß eine Quelle und eine Mündung haben muß, aber selbst der verbindende Fluß in meinem Netzwerk fängt letztlich nirgends an und hört nirgends auf.« Jongleur wischte die Perlenkette weg, dann zeichnete er einen neuen Kreis, größer diesmal, mit einem zweiten welligen Kreis darin. »Dieses Environment hier hat es noch weniger nötig, sich an das Vorbild der wirklichen Welt zu halten. Ich vermute, daß wir dem Fluß von hier«, er tippte den kurvigen Kreis mit der Zweigspitze an, »bis hier gefolgt sind.« Er fuhr die Schlangenlinie einmal herum, bis er wieder am selben Punkt angelangt war.
    Sam blickte verdattert. Neben ihr zeigte !Xabbu auf einmal mehr Interesse als in der ganzen vergangenen Stunde. »Und … das war’s?« fragte sie. »Mehr gibt’s hier nicht? Einmal im Kreis rum und fertig?« Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Das ist zu wuffig, um wahr zu sein. Eine Sache zum Beispiel: Wenn wir diese ganze Welt abgeklappert haben, wo ist dann Renie? Und dein Kollege, dieser Klement? Sie können nicht einfach verschwunden sein.«
    Oder vielleicht doch, kam es Sam plötzlich. In einem Loch. In einem Fluß. Weg. Weg wie Orlando…
    »Vielleicht ist das Modell noch absonderlicher«, sagte Jongleur. Gerade kam er ihr fast normal vor, wie einer ihrer Lehrer – kein Gefährte ihrer Wahl, aber auch kein Erzschurke. Und wie ihre besseren Lehrer schien er sich tatsächlich für das zu interessieren, wovon er sprach. Sam erinnerte sich, daß dieser Mann sich unterfangen hatte, und sei es mit fragwürdigen Methoden, die Sterblichkeit zu überwinden.
    Wie dieser alte Grieche in den Sagen, der den Göttern das Geheimnis des Lebens stahl. Orlando würde seinen Namen wissen.
    Jongleur hatte inzwischen auch die zweite Zeichnung weggewischt und sie durch den bislang größten Kreis ersetzt, der nun ein halbes Dutzend konzentrischer Wellenkreise faßte, so daß das Ganze ein wenig wie ein nasses Bullauge aussah. »Überlegt einmal folgendes«, sagte er. »Vielleicht sind in dieser Welt noch andere Welten verborgen, viele, wie russische Puppen. Doch der Fluß ist diesmal nicht der Verbindungsstrang zwischen ihnen, sondern eine Barriere. Statt dem Fluß zu folgen«, er fuhr einen der Flußringe einmal rundherum, »und so immer bloß zum Ausgangspunkt zurückzukommen, sollten wir vielmehr über den Fluß setzen, in die nächste Welt.« Er zog einen Strich über eine schlängelige Flußlinie, von einem Zwischenraum in den nächstinneren. »Es gibt hier keine Veranlassung, die Geometrie der wirklichen Welt zu imitieren. Der selbsternannte Gott dieses Environments hat von der wirklichen Welt

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