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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hervorlugte, saß er auf seinem Bett und blickte sie mit seinen großen, dunklen Augen an.
    »’ase Angst, so Monster komm’ dich holen oder was?«
    Christabel war schon einem richtigen Monster begegnet, einem lächelnden Mann in einem Hotelzimmer mit Augen wie kleinen Nägeln. Sie hatte es nicht nötig, diesem doofen Jungen zu antworten.
    »Schlaf, eh«, sagte er nach einer Weile. »Brauch du kein Angst ’aben vor nix.«
    Das war so blöd, daß sie nicht mehr still sein konnte. »Du hast ja keine Ahnung!«
    »Pah, kleine ricas wie dir passiert nix.« Er fixierte sie mit einem fiesen kleinen Lächeln, aber er sah nicht glücklich aus. »Was denkse, was passiert? Sag ich dir, was passiert mit mir, willse wissen? Wenn hier alles fertig, du kommt wieder in so Mamapapahaus irgendwo, und Cho-Cho kommt in Arbeitslager. Dein Papa, der is noch einer von die Netten. Los otros, Mann, vielleicht die einfach mich ’olen und schießen, peng!«
    »Was für ein Lager?« So schlecht klang das gar nicht – ihre Freundin Ophelia war im Bluebird-Lager gewesen, und die hatten Kunstprojekte gemacht und Marshmallow-Brote gegessen.
    Cho-Cho winkte ab. »Cross City, da war mein tio eingelocht. Immer graben und so. Brot mit kleine bichos drin, eh.«
    Christabel sah ihn verständnislos an. »Was?«
    Er stutzte einen Moment. »Ah so. Bichos, sind Käfer und so.« Der Junge schlüpfte ins Bett zurück und starrte an die Decke. Sie sah von ihm nur noch die Nasenspitze über dem Kissen. »Sag dir eins, wart ich nich mehr lange. Nächste Mal, wo geht, Cho-Cho is ex und weg.«
    »Du … du willst weglaufen? Aber … Herr Sellars, er braucht dich!« Sie konnte es nicht verstehen. Es hörte sich an wie die bösen Sachen, von denen sie manchmal in der Kirche erzählten, nicht in der Sonntagsschule, sondern in dem großen Saal mit den Bänken und dem Glasfenster von Jesus. Weglaufen – von diesem armen alten Mann?
    Und ihre Mutter wäre auch traurig, spürte Christabel. Mami beschwerte sich viel darüber, aber eigentlich schien es ihr zu gefallen, daß sie Cho-Cho dazu brachte, sich zu baden und saubere Sachen anzuziehen, und daß sie ihm extra Sachen zu essen gab.
    Der Junge machte ein Geräusch, das sie kaum hören konnte – es hätte ein Lachen sein können. »Dachte, ’s gäb efectivo zu ’olen, Zaster, aber is bloß’n ’aufen Spinner, wo irgend so ’ne mierda wie in Agentenfilm abziehn. Cho-Cho is bald ex … und … weg.«
    Er sagte nichts mehr. Christabel konnte nur still im Bett liegen, angestrengt auf die leisen Stimmen ihrer Eltern lauschen und sich fragen, wie es sein konnte, daß die Welt so furchtbar geworden war.
     
     
    > Die ganzen Hieroglyphen, die sie mit Milchpulver auf die Küchenplatte gezeichnet hatte, reichten aus für eine komplette laktosefreie Ausgabe des Ägyptischen Totenbuches. Sie hörte schon so lange zu, wie das teure Komabett ihres Auftraggebers sich mit leisem Zischen und Summen seinen Bewegungen anpaßte, daß sie am liebsten geschrien hätte. Tausend Kanäle mit Netzberieselung, und sie konnte für keinen einzigen Interesse aufbringen.
    Dulcy wußte, daß sie sich hinlegen sollte, aber genauso sicher wußte sie, daß sie stundenlang keinen Schlaf finden würde. Sie zog ihren leichten Regenmantel an und gab die Sicherheitskombination des Haustürschlosses ein. Beim Öffnungston zögerte sie, ging dann zurück und holte ihre frisch zusammengesetzte Pistole aus dem Versteck im Küchenschrank hervor.
    Es war kurz vor Mitternacht, und die hügeligen Straßen von Redfern glänzten noch vom Regen, obwohl der Himmel im Augenblick klar war. Ein lauter Haufen junger Leute strömte ein Stück vor ihr aus einem Gruftclub, größtenteils weiße und asiatische Kids in Trauerkleidung, weiten schwarzen Chutes und kefiyeartigen Kapuzen. Sie ging hinter der größten Gruppe her, ließ sich von ihnen mitziehen. Ihre Stimmen hallten von den Häuserfassaden wider wie das aufgeregte Kreischen eines Fledermausschwarms. Der Dialekt, in dem sie sich Bemerkungen zuriefen, schien irgendein Abo-Pidgin zu sein. Dulcy erinnerte sich an eine Zeit, als sie auf den Straßen von Soho oder dem Village bei jungen Leuten wie denen hier noch jedes Wort ethnosoziologisch hätte einordnen können, jedes Ausstattungsstück und seine Plazierung. Jetzt wußte sie nicht einmal mehr, ob es sich bei dieser speziellen Subsubgruppe um Dirt Farmer oder No-Sider handelte, und von denen wußte sie auch nur noch, daß sie auf organischen Halluzinogenen,

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