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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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inne und blickte versonnen auf den Haufen kleiner Plastikteile, die jetzt verstreut auf dem Läufer neben ihrem Bett lagen. Was war eigentlich sein großer Schlag? Er schien die Kontrolle über das VR-Netzwerk seines einstigen Arbeitsgebers an sich gerissen zu haben, und das war sicherlich eindrucksvoll und möglicherweise allein schon genug, um ihn reich zu machen, auch wenn sie sich nicht recht vorstellen konnte, wie das funktionieren sollte. Wollte er das Gralsprojekt fortsetzen und die Aussicht auf Unsterblichkeit an reiche Leute verkaufen, allerdings anstelle von Felix Jongleur die Gelder selber einstreichen? Oder, was wahrscheinlicher war, hatte er vor, die Geheimnisse seines einstigen Arbeitgebers an den Meistbietenden zu verkaufen? Wo war Jongleur überhaupt? Hatte Dread ihm dasselbe Schicksal bereitet wie seinerzeit Bolívar Atasco? Warum hatte man dann nichts davon gehört? Wenn einer der reichsten und mächtigsten Männer der Welt gestorben wäre, wäre doch inzwischen wenigstens ein Gerücht davon durch die Nachrichtennetze gegangen.
    Dulcy nahm das Rohr vom Lockenstab und schraubte es in das Gehäuse des Reiseweckers, langsam, weil sie mit der Konstruktion noch nicht vertraut war. Beinahe hätte sie keine Pistole mitgenommen – sie hatte immer noch Albträume von Cartagena –, aber die eingefleischten Gewohnheiten einer Spezialistin, zumal in ihrem besonderen Gewerbe, waren schwer abzuschütteln. Die Pistole, mit der sie auf den Gearmann in Kolumbien geschossen hatte, war natürlich niemals außer Landes gekommen: Dread hatte sich erboten, sie für sie zu beseitigen, aber sie hatte genug Thriller gelesen und gesehen, um zu wissen, daß man auf keinen Fall jemandem Belastungsmaterial gegen sich in die Hand geben durfte. Sie hatte sie auseinandergenommen, sie so klinisch sauber gemacht, wie es mit Nagellackentferner möglich war, und die einzelnen Stücke auf ein Dutzend verschiedene Abfalleimer in ganz Cartagena verteilt.
    Das heißt, du traust ihm zu, daß er dich mit einer Mordwaffe erpreßt, aber schlafen würdest du mit ihm? Interessante Differenzierungen, Anwin.
    Sie fand es extrem schwer, sich über ihre Gefühle klarzuwerden. Er war natürlich sprunghaft, den einen Augenblick so, den anderen so, aber war es nicht genau das, was sie wollte? Sie hatte schon vor langem festgestellt, daß ihr Herz bei Werbetextern von Long Island und Börsenmaklern, die bei ihrem ersten gepanzerten Benz fast platzten vor lauter VIP-Gefühlen, kein bißchen schneller schlug.
    Nimm’s, wie es ist, Anwin. Die Bösis sind dir lieber.
    Und noch lieber sonnte sie sich in dem Gefühl, daß sie selbst mindestens so böse war, nur diskreter. Aber wenn man sich in die Außenbezirke des Sex begab, veränderte sich mehr als das Straßenbild. Man hatte es mit… na ja, einer krasseren Klientel zu tun.
    Na schön. Dulcy, du bist heiß auf den Typ, und es haut nicht hin. Na und? Dann fliegst du eben nach New York zurück, und ein paar Tage lang trinkst du und guckst Netzsoaps und bemitleidest dich – es gibt weiß Gott Schlimmeres. Du glaubst doch nicht im Ernst, daß er was für länger wäre, oder?
    Sie mußte zugeben, daß sie sich nicht vorstellen konnte, längere Zeit mit dem Mann in einer Stadt zu leben, schon gar nicht, mit ihm zusammen Vorhänge aussuchen zu gehen. Aber war das verkehrt? Er erregte sie. Sie dachte ständig an ihn, hin- und hergerissen zwischen Faszination und gelegentlich einem Gefühl, das viel stärker und gefährlicher war als Groll oder Abneigung, eher wie Haß und Furcht.
    Und wenn schon! Er ist von der Sorte, die dich anmacht – ein Bösi. Er ist einfach böser als die meisten, und das macht dir angst. Aber du kannst nicht auf dem Hochseil tanzen und dich gleichzeitig mit einem Netz absichern, da wäre das Hochseil völlig witzlos. Na schön, seine Umgangsformen lassen zu wünschen übrig. Der Kerl ist ein internationaler Verbrecher. Wenigstens ist er nicht langweilig.
    Sie hatte kaum auf ihre automatisch weiterarbeitenden Hände geachtet, aber trotz der Unterschiede von einem Modell zum andern war das egal: Wenn man einmal ein paar von diesen Plastikpistolen zusammengesetzt hatte, konnte man es fast im Schlaf machen. Sie stand aus dem Kniesitz auf, hockte sich aufs Bett, schüttelte ein paar Keramikkugeln aus einer Vitaminflasche und schob sie ins Magazin. Klick, klick, klick … wie kleine Babys, Achtlinge, die man in eine gemeinsame Wiege packte. Babys, Pistolen, virtuelle Welten, alte Männer,

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