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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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lauter, langsamer Musik und künstlicher Hautbleichung standen.
    Wenn du jung bist, kommt dir das alles so wichtig vor, dachte sie. Du bedeckst dich mit Zeichen, damit alle wissen, wer du bist. Die Leute sollten im realen Leben genauso Merkmalslisten haben wie VR-Sims, dann könnten sie auf den ganzen Aufwand verzichten, sich die Haut zu verkabeln oder das Gesicht zu brandmarken, und statt dessen einfach eine kleine Info aufleuchten lassen: »Ich mag Katzen und Fesseln, höre keine Musik, die älter ist als sechs Monate, und bestrafe meinen Vater, indem ich mir zu viele Subs unter die Haut pflanzen lasse.«
    Oder in meinem Fall: »Ich bestrafe meine Mutter, indem ich mit meinem Leben Sachen anstelle, die ihr wahrscheinlich nicht passen würden, wenn sie davon wüßte.« Sehr sinnig, was?
    Sie war deprimiert, merkte sie. Nach der verpaßten Gelegenheit mit Dread, wegen schlechtem Timing oder warum auch immer, war die erregende Möglichkeit einer spontanen und leicht brisanten Eskapade der ständigen bangen Frage gewichen: »Soll ich oder soll ich nicht?« Zwar genoß sie es einerseits, wenn einer so mit ihr umsprang wie er, sie emotional von einem Extrem ins andere jagte, sie mal erschreckte und dann wieder streichelte, aber andererseits konnte sie jetzt diesem zu lange hingezogenen Werben, wenn es denn eines war, nicht mehr ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Die Tatsache, daß sie ihn im Grunde nicht mochte, bekam allmählich mehr Gewicht, als ihr lieb war.
    Außerdem hat er mir, bei Lichte betrachtet, nicht das geringste erzählt. Er hat mich mit ziemlich windigen Versprechungen in eine hochgefährliche Industriespionagesache reingezogen, zahlt mir einen anständigen, aber unspektakulären Stundensatz, und dabei kann es gut und gern sein, daß er einen Weg gefunden hat, Blei in Gold zu verwandeln. Ich habe keinerlei Garantien. Und wenn es nun danebengeht? Ich habe ihm seinerzeit nicht die Pistole gegeben, wieso sollte ich es mir dann gefallen lassen, daß er mich ins Ausland lockt und mich völlig im Dunkeln tappen läßt? Ich weiß nicht mal, wie in Australien die Gesetze für solche Sachen sind.
    Und was war das noch, was er zu mir gesagt hat, als ob es überhaupt das Höchste wäre? »Willst du ein Gott sein, Dulcy?« Was könnte das heißen? Unsterblichkeit im Otherlandnetzwerk? Tja, wer weiß? Tatsache ist, daß er nichts Konkretes angeboten hat. Das einzige konkrete Angebot ist er selbst, und auch wenn das so schlecht nicht ist, reicht es doch nicht aus. Nicht für meiner Mutter Tochter.
    Die Meute zerstreute sich, einige gingen zu den Bushaltestellen, andere winkten sich Taxis. Heimfahrt nach der Après-Dschihad-Party, dachte sie mit grimmiger Ironie, als ein Grüpplein Jugendlicher mit schwarzem Schlabberkopfputz sich in ein gemeinsames Taxi quetschte. Dann wurde ihr bewußt, daß eine breite, aber dunkle Straße, die eben noch belebt und munter gewesen, jetzt so gut wie menschenleer war.
    Wo bin ich? Das wäre klasse – mich hier mitten in der Nacht zu verlaufen.
    Die Straßenschilder waren nicht besonders hilfreich, und sie hatte ihre T-Buchse im Loft gelassen und konnte sich daher keinen Stadtplan angucken. Wütend auf sich, aber nicht allzu besorgt – es waren immer noch Leute auf der Straße, darunter auch ein, zwei Pärchen – ging sie zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war, und versuchte sich zu besinnen, wie oft sie im Schlepptau der Jugendlichen abgebogen war. Die alten Häuserreihen mit den rostenden schmiedeeisernen Balkonen schienen sie wie starre, mißbilligende Gesichter zu beobachten. Zur Beruhigung betastete sie ihre Jackentasche. Wenigstens war sie bewaffnet.
    Drei dunkelhäutige Männer beäugten sie, als sie sich der Straßenecke näherte, an der sie standen, und obwohl keiner von ihnen sich bewegte oder etwas sagte – der jüngste lächelte sie sogar sehr charmant an, als sie vorbeiging –, beschleunigte sie unwillkürlich ihre Schritte, nachdem sie hinter ihnen in eine dunkle Seitenstraße eingebogen war.
    Es ist irgendwie, als wenn wir ständig in ihrem Schatten leben würden, dachte sie. Männer sind einfach da und stehen uns im Licht, und wir können nichts dagegen machen. Liegt es nur daran, daß die Gesellschaft im Lauf der Zeit so geworden ist, oder hat das irgendwelche vorgeschichtlichen Gründe – daß sie am Anfang die Stärkeren waren oder so?
    Felix Jongleur, das Paradebeispiel eines alten männlichen Raubtiers, ging ihr durch den Kopf. Seine komische

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