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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Aufmerksamkeit erregten.
    »Hier, halt den mal fest«, sagte sie, als sie vorsichtig auf den Tisch stieg, der wie alles andere in dieser seltsamen kleinen Sonderwelt gänzlich aus dicht verschlungenen lebenden Pflanzen bestand. Er wackelte, aber hielt; anscheinend waren die Möbel tatsächlich dazu gedacht, benutzt zu werden, wenn auch nicht zu dem Zweck, der Renie vorschwebte. Das Steinmädchen trat heran und tat sein Bestes, den Tisch ruhig zu halten.
    Renie streckte sich, langte mit beiden Händen in die Vegetation der niedrigen Decke und wühlte. Was von dem verflochtenen Astwerk nicht wegzuknicken oder abzureißen war, schob sie zur Seite, bis sie ein Loch gemacht hatte, durch das sie den samtig dunklen Himmel sehen konnte und die ersten blassen Sterne. Ermutigt vergrößerte sie rasch das Loch, und bald war es breit genug für ihre Schultern. Sie zog sich ächzend hoch und schaute sich auf dem Dach um. Erleichtert, daß keines der Schlängelwesen dort auf sie wartete, ließ sie sich wieder hinab.
    »Komm«, forderte sie ihre Begleiterin auf. »Ich heb dich hoch.«
    Sie mußte dem Steinmädchen ein Weilchen gut zureden, aber schließlich ließ es sich durch das Loch schieben.
    »Dort«, sagte Renie, als sie neben dem Mädchen auf dem Dach hockte, »auf der andern Seite. Siehst du? Mit diesen Lianen kommen wir zu dem Haus direkt neben dem Turm, und von dort können wir hinüber.«
    Das Steinmädchen warf einen Blick auf die am Boden schwärmenden Tecks und beäugte dann mißtrauisch die hängenden Kletterpflanzen. »Wie stellst du dir das vor?«
    »Wir können auf ihnen balancieren. Wir setzen die Füße auf die unteren und halten uns an denen weiter oben fest. Brücken im Dschungel werden auf die Art gebaut.« Sie war innerlich nicht so überzeugt, wie sie sich gab – sie hatte in Wirklichkeit noch niemals eine solche Brücke überquert, weder in einem Dschungel noch sonstwo –, aber es war auf jeden Fall besser, als in dem kleinen Haus sitzenzubleiben und darauf zu warten, daß die Tecks sie aufspürten.
    Das Steinmädchen nickte nur und ergab sich müde in sein Schicksal.
    Es vertraut mir, weil ich eine Erwachsene hin. Wie eine von diesen Stiefmüttern. Das war eine unangenehme Belastung, aber es war niemand da, mit dem sie sie hätte teilen können. Renie seufzte und schob sich vorsichtig an die Dachkante. Sie winkte das Steinmädchen zu sich und hob es dann zu der dicken Liane hoch, die neben ihnen schräg nach oben führte. Erst als sie sicher war, daß die Pflanze ihr gemeinsames Gewicht tragen würde, ließ sie los. »Halt dich gut fest«, wies sie das Kind an. »Ich komm jetzt dazu.«
    Nach einem kühnen Aufschwung mußte sie sich zunächst mit Händen und Beinen anklammern und stemmte sich dann vorsichtig hoch, bis sie die höhere Liane zu fassen bekam. Die untere schwankte heftig unter ihren nackten Füßen, als sie sich hochzog, doch schließlich stand sie sicher im Gleichgewicht. »Geh los«, sagte sie zu dem Steinmädchen, nachdem sie ihm geholfen hatte, sich zu strecken und den oberen Strang zu greifen. »Mach langsam. Auf dem Dach da drüben ruhen wir uns nochmal aus, dort auf dem hohen Haus zwischen uns und dem Turm.«
    Sie hatten gar keine andere Wahl, als langsam zu machen. Es war schwer genug, auf der schlüpfrigen Liane nicht auszurutschen und gleichzeitig über die dichten Knäuel der Seitensprosse zu treten. Obwohl die Tecks nicht den Anschein machten, sie bemerkt zu haben, hatte Renie ihre Zweifel, ob ihre Sinne wirklich so beschränkt waren, wie das Kind gemeint hatte, denn bei denen direkt unter ihnen nahm sie eine zunehmende Unruhe wahr. Sie mußte sich unwillkürlich vorstellen, wie die Kreaturen wohl reagierten, falls sie und ihre Gefährtin plötzlich mitten unter sie stürzten.
    Es kam ihr geraten vor, anderswo hinzuschauen als nach unten.
    Das Licht war inzwischen fast gänzlich erloschen. Als sie sich dem Dach des hohen Hauses auf halbem Weg zum Turm näherten, kam Renie der Gedanke, daß sie vielleicht doch keine Rast einlegen und lieber das letzte bißchen Licht für ihre schwierige Kletterpartie ausnützen sollten. Da blieb das Steinmädchen mehrere Schritte vor dem Dach stehen.
    »Was ist los?«
    »Es g-geht nicht mehr.«
    Renie fluchte im stillen. »Geh bis zum Dach, dann ruhen wir uns aus. Wir sind ja fast da.«
    »Nein! Ich kann nicht mehr! Es ist zu hoch.«
    Renie blickte nach unten und wußte nicht, was die Kleine auf einmal hatte. Bis zum Boden waren es ungefähr fünf

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