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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Gitter gewesen war. Jetzt erschien auch Del Ray in der Tür.
    »Mein Gott«, sagte er. »Was ist passiert?« Seine Augen wurden weit. »Wer ist das?«
    Jeremiah Dako hielt das blutige Stuhlbein hoch und starrte es an, als hätte er es nie zuvor gesehen. Er zog eine derart scheußliche Grimasse, daß er wie ein Wahnsinniger aussah.
    »Wenigstens … wenigstens haben wir immer noch … zwei Kugeln übrig«, sagte Jeremiah. Er lachte. Dann fing er wieder zu schluchzen an.
     
    »Das war der fünfte«, erklärte Del Ray. »Am Monitor sehe ich nach wie vor vier. Das ist der, von dem wir dachten, er wäre am Rauch erstickt.«
    »Na und?« sagte Jeremiah wegwerfend. »Das heißt bloß, daß da oben immer noch genauso viele sind, wie wir heute morgen gezählt haben.«
    Joseph konnte nur stumm zuhören. Ihm war, als hätte jemand ihm den Kopf abgerissen und ihn dann in großer Hast wieder aufgesetzt.
    »Das heißt, daß sie wahrscheinlich von dem Luftschacht nichts wissen«, meinte Del Ray. »Er wird da reingeklettert sein, um sich vor dem Rauch in Sicherheit zu bringen. Vielleicht dachte er, es würde brennen, und auf einmal saß er abgeschnitten von den anderen in einem weit entfernten Teil der Anlage fest. Dann ist er einfach immer weiter gekrochen, bis er zu dieser Öffnung gelangt ist und von unserer Seite Luft bekommen hat. Möglicherweise ist er auch nicht mehr rausgekommen.« Er blickte auf die Leiche, die sie in das hellere Licht des offenen Flures gezogen hatten. »Das heißt, daß die andern nicht durch den Schacht eindringen und uns im Schlaf überraschen werden.«
    Jeremiah schüttelte den Kopf. Er hatte aufgehört zu weinen, aber wirkte noch genauso unglücklich. »Wir wissen gar nichts.« Sein Stimme war beinahe so krächzend wie Josephs.
    »Wieso das?«
    »Schau ihn dir an.« Jeremiah stieß den Körper mit einem Finger an, sah aber selbst nicht hin. »Er hat stark geblutet. Überall sind Blutkrusten. Brandwunden. Abschürfungen und Schnitte. Es kann gut sein, daß er sich die erst beim Einstieg in den Luftkanal zugezogen hat, weil er es eilig hatte, vor dem Rauch zu fliehen. Er gibt bestimmt Spuren, wo er eingestiegen ist, vielleicht liegt sogar irgendwo ein Gitter am Boden. Wenn der Rauch sich verzogen hat, werden sie die Spuren finden. Sie werden nach ihm suchen.«
    »Dann müssen wir … was weiß ich. Die Öffnung in der Abstellkammer zuschweißen. Irgendwas.« Jeremiah und Del Ray hatten bereits Versuche unternommen, das Gitter wieder hinzunageln, aber mit mäßigem Erfolg.
    »Sie können uns einfach vergiften – Giftgas einleiten, bis wir ersticken.« Jeremiah starrte auf den Boden.
    »Warum haben sie das dann nicht längst gemacht?« wandte Del Ray ein. »Sie könnten bestimmt unsere Entlüftung finden, wenn sie wollten. Umbringen könnten sie uns jederzeit, wenn es ihnen nur darum ginge.«
    Jeremiah ließ den Kopf hängen. »Es ist zu spät.«
    Es machte Joseph betroffen, daß der Mann so niedergeschlagen war. War es, weil er jemanden getötet hatte? Wie konnte einer, selbst eine empfindsame Seele wie Jeremiah Dako, es bereuen, daß er den Mann getötet hatte, der ihn, Joseph, zu töten versucht hatte?
    »Jeremiah«, sagte er leise. »Jeremiah. Hör mal zu.«
    Der Angesprochene blickte mit geröteten Augen auf.
    »Du hast mir das Leben gerettet. Wir streiten uns manchmal, du und ich, aber das werd ich dir nie vergessen.« Er suchte nach etwas, das die Dinge für sein Gefühl ins rechte Lot brachte. »Danke. Das mein ich ganz ehrlich.«
    Jeremiah nickte, aber seine Miene war und blieb todtraurig. »Ein Aufschub. Mehr ist es nicht.« Er zog beinahe zornig die Nase hoch. »Aber gern geschehen, Joseph. Und ich meine das auch ehrlich.«
    Eine Weile sagte keiner etwas.
    »Was mir gerade durch den Kopf geht«, sagte Del Ray: »Was machen wir hier unten mit einer Leiche?«
     
     
    > »Sie kommen mir vor wie Bodentierfresser«, meinte Renie. »Wenn das zutrifft, haben wir vielleicht Glück.« Sie redete eigentlich mehr mit sich selbst. Ihre Gefährtin, das Steinmädchen, hatte zuviel Angst, um groß aufzupassen.
    Renie warf abermals einen Blick aus dem Fenster auf den Kirchturm aus Sträuchern und Ranken, der so qualvoll nahe war und von dem sie doch mehrere Dutzend Tecks trennten, Wesen von einer solchen Blässe, daß sie im schwindenden Abendlicht beinahe zu leuchten schienen. Im Augenblick jedoch waren es die vielen von dem Turm wie Zeltschnüre ausgehenden Schling- und Kletterpflanzen, die ihre

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