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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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waren.
    Da jeder Schritt eine Qual war, zumal die Lianen in der Nähe des hohen Turmes immer steiler wurden, versuchte sie, an etwas anderes zu denken.
    Was zum Teufel sind Tecks eigentlich? Wieso sollte eine Maschine sich vor so Raupendingern fürchten? Und Schnöre? Was sind die?
    Und Schnöre. Die Lautfolge blieb in ihrem Kopf hängen wie ein unverdaulicher Brocken, und sie kaute darauf herum. Und Schnöre … Unschnöre … Unschenöre …! Beinahe hätte sie losgelassen. Das Steinmädchen quiekte vor Schreck, und Renie schloß ihre schmerzende Faust fest um die Liane. Unter ihnen schwärmten die Tecks aufgeregt zusammen. Inschenöre – Ingenieure! Wer arbeitet mit Maschinen? Ingenieure und … und Techniker – Techs. Schnöre und Tecks.
    Renie stieß ein hysterisches Kichern aus. Aber das bedeutet, daß ich auch ein Schnör bin – ich hab einen Abschluß in Virtualitätstechnik. Wieso hat der Andere aus mir nicht auch eine gespenstische Killerqualle gemacht?
    »Warum lachst du?« fragte das Steinmädchen mit zitternder Stimme. »Du machst mir angst.«
    »Entschuldige. Ich hab bloß an was gedacht. Kümmer dich gar nicht drum.«
    Aber, mein Gott, was haben die Techniker und Ingenieure dieser KI, oder was es sonst sein mag, bloß angetan, daß sie ihnen diese Gestalten gibt…?
    Der solide wirkende Pflanzenturm war auf einmal ganz nahe. Renie sah das offene Fenster nur zwei oder drei Meter über ihrem Kopf in die Dunkelheit hinausleuchten, aber auf den Lianen, die ganz an der Spitze des vorspringenden Daches hingen, kam sie nicht nahe genug heran, und der Winkel war ohnehin demnächst zu steil.
    »Wir müssen die Lianen lassen und an der Wand hochklettern«, sagte sie möglichst ruhig und gelassen. »Ich beuge mich so weit vor, wie es geht, bevor ich loslasse, aber ich werde springen müssen. Wirst du gut festhalten?«
    »Springen?«
    »Anders komm ich nicht hin. Ich bin sicher, die Sträucher werden uns halten«, erklärte sie, obwohl sie alles andere als sicher war. Sie packte die obere Liane fester, mußte aber vorher noch sanft, aber bestimmt die Finger des Steinmädchens lösen, das beschlossen hatte, ebenfalls festzuhalten. »Das geht nicht. Wenn ich springe, und du hältst noch fest … tja, das wäre nicht so gut.«
    »Okay«, sagte die kleine Stimme dicht an ihrem Ohr.
    Sie vertraut mir. Ich wünschte beinahe, sie würde es nicht tun …
    Renie spreizte leicht die Beine und brachte die Liane zum Schwingen, denn sie konnte jeden zusätzlichen Zentimeter gebrauchen. Beim vierten Schwung sprang sie zu der düsteren Wand hinüber.
    Als ihr das trockene Laubwerk unter den Händen zerriß wie Papier und sie beide nach unten rutschten, war sie sicher, daß dies das Ende war. Da fühlte sie etwas Dickeres und Härteres, und sie grapschte danach und stemmte sich zusätzlich mit den Füßen ab, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was ihre nackten Finger und Zehen dazu sagten. Das Rutschen hörte auf, und sie blieb heftig schnaufend an der Wand hängen.
    Weiter. Ich kann mich nicht halten. Keine Kraft mehr.
    Sie zwang sich. Griff für Griff mühsam nach oben zu kraxeln. Was aus der relativen Sicherheit der Liane wie höchstens drei Meter ausgesehen hatte, fühlte sich jetzt eher wie hundert an. Jeder Muskel in ihrem Körper schien vor Qual zu schreien.
    Der Lichtschein im Fenster kam ihr vor wie eine Halluzination. Zu guter Letzt zog sie sich über den dornigen Sims und ließ sich keuchend und stöhnend auf den mattenartigen Boden gleiten, wo ihr schwarz vor Augen wurde.
     
    Das erste, was ihr ins Auge fiel, als sie wieder etwas erkennen konnte, war die Lichtquelle im Turmzimmer, eine große, nickende Blume, die am höchsten Punkt des Deckengewölbes hing und in der Mitte zwischen den Blütenblättern wachsgelb leuchtete. Sie hörte, wie sich das Steinmädchen hinter ihr regte, und setzte sich hin. Jemand saß auf der anderen Seite des kleinen Raumes, halb verborgen von Laub und Schatten. Es war nicht !Xabbu . Es war Ricardo Klement, der einzige, der den Gralsprozeß mit Erfolg durchlaufen hatte – oder mit halbem, denn er war zwar jung und gutaussehend, aber geistesgestört.
    »Ist das dein Freund?« fragte das Steinmädchen leise.
    Renie stieß ein scharfes, überdrehtes Lachen aus. »Wo sind die andern?« Sie brachte kaum die Kraft zu sprechen auf. »Meine Freunde. Sind sie hier?«
    Klement sah sie gleichgültig an. Er hielt etwas Kleines in den Armen, doch sie konnte es nicht erkennen. »Andere? Keine

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