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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ich auf etwas stieß, das eine Möglichkeit zu sein schien. Es war ein in sich zusammenhängendes Durcheinander von Signaturen, von kleinen Bewegungen, auf der anderen Seite des Tempels. Nach dem, was ich ausmachen konnte, fand es in einer Art Einbuchtung statt, vielleicht einer Nische hinter einem Wandbehang, was mir gar nicht paßte. Wenn es stimmte, erschwerte das den zweiten und weniger gründlich durchdachten Teil meines Planes sehr.
    Nachdem ich mir den Standort fest eingeprägt hatte, begab ich mich wieder zurück. Meine Kopfschmerzen waren noch heftiger geworden, aber dann hielt ich mir vor, was Nandi und Bonnie Mae Simpkins durchgemacht hatten und was uns allen weiterhin drohte, und so rappelte ich mich vom Boden auf und begab mich zur Tür der Zelle, wo ich mich wieder hinlegte und das Gesicht an die Lücke darunter hielt.
    ›Was machst du?‹ fragte Florimel besorgt. ›Hast du Atembeschwerden?‹
    ›Ich brauche jetzt Ruhe, mehr denn je‹, entgegnete ich. ›Tut mir bitte den Gefallen und geduldet euch. Versucht euch wenn irgend möglich nicht zu bewegen.‹
    Ich legte mein Ohr an die Ritze unter der Tür und lauschte. Ich lauschte auf die gleiche Art, wie ich vorher alle Sinne hatte schweifen lassen, aber zielgerichteter. Ich wollte jetzt nur noch Geräusche wahrnehmen, alle Geräusche, die mich erreichten. Ich stellte mir den Tempel als ein zweidimensionales Labyrinth vor und bemühte mich, die Luftströmungen zu erkennen und ihnen in der Richtung nachzugehen, in der ich mich vorher bewegt hatte, bis ich schließlich das leise Rascheln und Murmeln aus der Nische vernehmen konnte. Ich stelle das jetzt leichter dar, als es war, nicht aus falscher Bescheidenheit – es war außerordentlich schwierig –, sondern weil ich keine Zeit mehr für langwierige Erklärungen habe.
    Sobald ich die unglaublich schwachen Geräusche, die ich suchte, gehört hatte, begann der allerschwerste Teil. Ich legte den Mund an den Spalt unter der Tür, hauchte leise, fast lautlos ein Wort und verfolgte dann seine Bahn. Die Schallwelle verlor rasch ihre Einheit und hatte sich am Ende des Ganges vollkommen zerstreut.
    Jemand bewegte sich hinter mir, ich glaube, es war T4b, und für meine bis zum Äußersten angespannten Sinne war es wie das Donnern des Ozeans. Ich mußte mich beherrschen, um meine Gefährten nicht anzuschreien. Dann versuchte ich es noch einmal.
    Es dauerte fast zwei Stunden und hätte ewig dauern können, wenn ich nicht das wunderbare Glück gehabt hätte, daß die Gänge, mit denen ich es zu tun hatte, weitgehend menschenleer waren. Es war ein wenig, als plante ich den kompliziertesten Billardstoß der Welt, denn ich wollte ein kleines Schallpaket von einem Ende des Tempels zum anderen schicken – mit Abprallern an Wänden und Biegungen um Ecken, abhängig von nahezu mikroskopischen Korrekturen der ursprünglichen Richtung und haarscharfen Vorausahnungen der Luftwirbel. Doch trotz meiner extremen Sorgfalt war mein schließlicher Erfolg zum größten Teil Glücksache.
    Die Antwort zu hören war leichter, obwohl sie eine Weile brauchte, um zu mir zurückzukommen. Niemand außer mir hätte sie hören können, ja die Schallwelle war so klein, daß ich sie eigentlich nicht hörte, sondern ablas.
    ›Wer bissen du?‹ kam es. ›Woher kennsen Zunnis Namen? Woher kennsen die Böse Bande?‹
    An ein Gespräch war unter den Umständen nicht zu denken – das hätte stundenlanges Herumprobieren erfordert –, und nach den Geschichten, die man mir erzählt hatte, war mein Vertrauen auf die Geduld der Bandenkinder begrenzt. Ich setzte alles auf eine einzige Durchsage.
    ›Wir sind Freunde von Orlando Gardiner. Wir sind hier im Tempel in einer Zelle eingesperrt. Sie wollen uns foltern. Wir brauchen schnellstens Hilfe!‹
    Diesmal hörte ich keine Antwort. Ein Wächter draußen im Flur hatte zu reden angefangen, was den empfindlichen Strömungskanal in wilde Wellen zerhackte.
    Das ist alles. Die Wahrscheinlichkeit ist mehr als gering, daß sie überhaupt meine ganze Mitteilung gehört haben oder daß sie etwas unternehmen können, aber das war der einzige Plan, auf den ich gekommen bin. Wenigstens hatte ich recht mit meiner Annahme, daß die Affenkinder sich immer noch im Tempel versteckt halten. Und gegen jede Aussicht auf Erfolg habe ich irgend jemandem mitgeteilt, daß wir hier sind, daß wir Hilfe brauchen. Die Tatsache, daß unser Heil jetzt von einer Gruppe von Kindern im Vorschulalter abhängt, verschlechtert unsere

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