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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Stricken zerrend drückte er den Kopf hoch, bis er in Userhoteps eunuchenhaftes Gesicht blicken konnte. »Du bist Code, ist dir das eigentlich klar? Dich gibt’s gar nicht. Du bist völlig irreal, ein paar Zahlen in einer großen Maschine!«
    Wells kicherte. »Er wird nichts hören, was sich nicht mit der Simulation verträgt, Jonas. Und du bist es, um dessen Verstand es schlecht bestellt ist, wenn du meinst, daß dieser … Hokuspokus bei dir nicht wirkt.«
    Userhotep bückte sich. Als er sich wieder aufrichtete, hatte er eine lange Bronzeklinge in der Hand, die eher einem geraden Rasiermesser als einem Dolch glich. Blitzschnell zog der Priester sie Paul über die Brust und hatte drei oberflächliche Schnitte gemacht, bevor dieser den brennenden Schmerz des ersten überhaupt spürte.
    »Du Schwein!«
    Ohne Pauls Zappeln auch nur zu beachten, hob Userhotep eine Dose vom Boden auf und entnahm mit dem Finger eine schwarze, zähe Masse. Er rieb sie in die Schnitte ein. Paul mußte sich beherrschen, um nicht laut aufzuschreien, als sie ihm in den Wunden brannte.
    »Ich nehme an, es ist Mohnsamenpaste«, bemerkte Wells. »Ein primitives Opium als eine Art Traumunterstützung. Sie wenden hier ein multidisziplinäres Verfahren an, weißt du – ein bißchen Wissenschaft, ein bißchen Zauber, ein bißchen Schmerz …«
     
»Hier ist der Übeltäter, ihr Götter«,
     
    rezitierte der Priester,
     
»Dessen Mund gegen euch verschlossen ist wie eine Tür.
    Hier ist der Schlimme, der nicht die Wahrheit sprechen wird,
    So ihr ihm nicht den Mund öffnet, damit sein Geist sich nicht im Dunkeln verstecken kann.
    Eröffnet mir den Urgrund seiner Zunge!
    Eröffnet mir die Geheimnisse seines Herzens!«
     
    Während er diesen Zauberspruch aufsagte, ritzte Userhotep Pauls Haut ein ums andere Mal und rieb jeden Schnitt mit der schwarzen Paste ein. Seine singende Stimme klang fern, entrückt, so als ob er das Protokoll einer unwichtigen, vergessenen Tagung verläse, doch die starren, kalten Augen des Mannes hatten eine eigentümliche Intensität und schienen immer heller zu werden, je mehr er die Schmerzen steigerte, bis das Gesicht das einzige war, was Paul von dem ins Dunkel zurücktretenden Raum noch sah.
    »Siehst du, es spielt gar keine Rolle, ob du daran glaubst oder nicht«, sagte Wells aus dem Hintergrund. Das runde Gesicht des Priesters hatte sich vor die gelbe Ptahmaske geschoben wie der Mond bei einer Sonnenfinsternis vor die Sonne. »Das ist eine der pfiffigen Sachen an diesem Netzwerk, fast schon genial, das muß man dem alten Jongleur lassen…«
    »Ich weiß nichts!« ächzte Paul, der sich weiter vergeblich gegen die Stricke sträubte, gegen das Brennen der Haut.
    »O doch. Und wenn wir das System richtig bedienen, den richtigen Zauber veranstalten und so, dann wirst du reden, ob du willst oder nicht, ob du dich zu erinnern meinst oder nicht. Es ist dir doch mittlerweile bestimmt schon aufgefallen, daß das Netzwerk unterhalb der bewußten Ebene operiert, nicht wahr? Daß es alles realer erscheinen läßt. Daß es Sachen vor dir versteckt, obwohl du weißt, daß sie da sind, ja sogar Leute umbringt, einfach indem es ihnen einredet, daß sie tot sind. Wenn ich gewußt hätte, wie Jongleur das alles hingekriegt hat, hätte ich ihn schon vor langem abserviert.« Wells’ theatralisches Schurkengekicher erreichte Paul kaum noch, so heftig ergriffen ihn Schmerz und Verwirrung.
     
»Sieh her, die Götter erwarten dich in den Höhlen der Unterwelt!
    Sieh her, wie sie das Herz deines Schweigens zermalmen!
    Sieh sie in all ihrer Macht, sieh sie voll Furcht!
    Den Aufgerichteten!
    Den Grimmigen!
    Den Hintersichschauer!
    Den Eingesargten!
    Die Kämmende!
    Die in Flammen sprechende Kobra!«
     
    »… Und wahrscheinlich durfte genau deshalb keiner von uns erfahren, wie es funktioniert.« Wells’ Stimme war jetzt über dem Singsang des Priesters kaum mehr zu hören. Heiße Krämpfe zerrten an Pauls Gelenken, drohten sie zu zerreißen. »Realitätsoptimierung hat er das gern genannt. Reality Enhancement Mechanism, kurz REM. Verstehst du den Witz? Wie die REM-Phasen im Schlaf, wo man besonders intensiv träumt. Aber hol ihn der Teufel, man muß zugeben, daß es hinhaut. Spürst du es schon?«
    Paul bekam keine Luft mehr. Ein schwarzes Fieber durchströmte ihn langsam, heiß und dick wie die Mohnpaste, dunkel wie die Höhlen aus dem Zauberspruch des Priesters, Höhlen, die er beinahe vor sich sehen konnte, unglaublich tief, voll

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