Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
wünschte, als diesem Wahnsinn ein Ende zu machen, verspürte er ein Pulsen im Schritt, ein Zucken der Schlange, die in seinem Rückgrat schlief.
    »Ava, hör auf! Du mußt aufhören!«
    »Hör doch, Paul!« Sie richtete ihre großen, traurigen, feuchten Augen auf ihn. »Ich habe gerade etwas Schreckliches herausgefunden. Ich glaube, mein Vater … ich glaube, er will dich ermorden lassen!«
    »Was?« Es war zuviel. Einen Moment lang haßte er auch sie, trotz ihres hilflosen, aufgelösten Zustands. Wie war er bloß in eine dermaßen irrsinnige Situation hineingeraten? Niles Peneddyn würde so etwas niemals passieren. »Wieso sollte er das machen?«
    »Komm mit nach draußen«, sagte sie. »Komm mit ins Wäldchen. Dort können wir reden.«
    »Aber du hast doch gesagt, wir könnten hier drin reden. Dein … dein Geist, oder was er sonst ist, würde uns beschützen.«
    »Das tut er auch! Aber ich halte es keine Sekunde mehr in diesem Haus aus. Eingesperrt wie ein Tier! Die … die Zeit ist hier so lang.« Sie warf sich wieder an ihn, und obwohl er das Gesicht wegdrehte, um ihren Küssen auszuweichen, bewegte ihn die fieberhafte Bedürftigkeit, die aus ihrem angespannten Körper sprach, zur gegenteiligen Reaktion: Er schlang die Arme um sie und streichelte sie begütigend, als ob sie ein verängstigtes Kind wäre.
    Und genau das ist sie auch, dachte er bei sich, und echtes Mitleid mischte sich in seine Furcht und Empörung. Sie haben ihr irgendwas Gräßliches angetan. Und was es auch sein mag, es ist kriminell.
    Ihre Brust wogte an seiner. Schließlich beruhigte sie sich ein wenig. »Komm mit nach draußen«, sagte sie noch einmal. »Oh, bitte, Paul!«
    Er ließ sich von ihr zur Tür des Studienzimmers führen, wo er im letzten Moment von ihr zurücktrat, damit sie ein halbwegs sittsames Bild abgaben, wenn sie die angebliche Sicherheitszone verließen.
    Jetzt glaube ich schon selber daran, merkte er. An diesen Geist, ihren geheimen Freund. Entweder jemand hat tatsächlich das System gehackt, oder Finney und Mudd pennen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie dieses Benehmen dulden würden.
    Das Haus war still, die Dienstmädchen waren nirgends zu sehen – hatten sie frei? Tratschten sie in irgendeinem modernen Pausenraum auf den unteren Etagen über die versponnene Tochter ihres Arbeitgebers? Oder hingen sie in einem Schrank wie Marionetten und warteten darauf, daß der unsichtbare Puppenspieler sie wieder herausholte?
    Es müssen richtige Menschen sein, sagte er sich. Die Spukschloßatmosphäre gab einem die verrücktesten Ideen ein. Ich bin schon mal mit einer zusammengestoßen. Mit einem Hologramm kann man nicht zusammenstoßen, und derart lebensechte Roboter gibt es nicht. Er hoffte sehr, daß er trotz alledem eines Tages wieder gesund und wohlbehalten nach England zurückkehren konnte, und sei es nur, um Niles und seinen anderen Freunden davon zu erzählen, am liebsten mit einem Drink in der Hand. Das wäre dann endlich einmal eine Geschichte, die bestimmt keiner von ihnen überbieten konnte.
    Avas Frühstück stand unberührt draußen auf dem Tisch in der Sonne. Paul warf einen sehnsüchtigen Blick darauf und wünschte sich, er hätte seinerseits mehr als eine Tasse Kaffee zu sich genommen. Im Garten schlug seine Schülerin einen forschen Trab an. Im ersten Moment war er versucht, hinter ihr herzueilen, doch dann fielen ihm die Augen ein, die mit ziemlicher Sicherheit alles beobachteten, und er schritt so gemessen, wie es ihm unter den Umständen möglich war, den Weg hinunter.
    Mit glänzenden Augen, aber nicht mehr weinend wartete sie im Hexenring auf ihn. »Ach, Paul«, sagte sie, als er in den Kreis trat, »wenn wir doch nur immer so zusammensein könnten! Uns sagen könnten, was wir wollen, ohne Angst haben zu müssen!«
    »Ich verstehe nicht, was hier passiert, Ava.« Er setzte sich mit einem gewissen Sicherheitsabstand neben sie. Sie blickte ihn vorwurfsvoll an, aber er beschloß, nicht darauf einzugehen. »Als wir das letzte Mal hier waren, hast du mir erzählt … äh, da hast du mir von einem Kind erzählt. Jetzt sagst du, daß dein Vater mich umbringen will. Von deinem Freund aus der Geisterwelt will ich gar nicht reden. Wie soll ich das alles glauben?«
    »Aber ich habe wirklich ein Kind gehabt.« Sie war beleidigt. »Ich würde dir so etwas niemals vorlügen.«
    »Wer… wer war der Vater?«
    »Ich weiß nicht. Kein Mann, wenn du das meinst.« Sie stockte. »Vielleicht war es Gott.« Es war keine

Weitere Kostenlose Bücher