Otherland 4: Meer des silbernen Lichts
zurückgetreten. !Xabbu und Sam starrten ihn an, als ob ihm plötzlich Hörner und Schwanz gewachsen wären. Nur Klement hatte sich nicht von der Stelle gerührt und saß weiter still an der Wand.
»Diese Leute haben sich soeben auf einem ungeschützten Kommunikationsband zu erkennen gegeben«, erklärte Jongleur. »Sie haben über den gesamten Gralskanal ihre Hilflosigkeit mitgeteilt, ganz zu schweigen von ihrer Position. Aber sie sind nicht die einzigen mit Zugriff auf diesen Kanal, wie ihr auch gehört habt. Wenn du ihm meine Position verraten hättest, hätte ich dich auf der Stelle umgebracht.«
Renie blickte ihn haßerfüllt an, aber seine rücksichtslose Entschlossenheit hatte sie eingeschüchtert. »Und wieso sollte uns das scheren? Du bist es, den er haben will.«
»Um so mehr Grund, daß ihr mich nicht ans Messer liefert.«
»Tatsächlich?« Sie schämte sich jetzt für ihre Feigheit. »Du nimmst den Mund sehr voll, aber wir sind zu dritt, und du bist allein, es sei denn, du rechnest mit Hilfe von deinem schwachsinnigen Kumpan. Und was Dread anbelangt, so stellt er für uns keine größere Bedrohung dar als du – eher eine kleinere, denn schließlich ist er bloß ein gewöhnlicher Psychopath.«
»Ein gewöhnlicher Psychopath?« Jongleur zog eine Augenbraue hoch. »Du hast ja keine Ahnung. Mit seinen bloßen Händen als einziger Waffe wäre John Dread einer der gefährlichsten Menschen der Welt, und jetzt steht ihm die Macht meines gesamten Systems zur Verfügung.«
»Von mir aus. Dann ist er eben gefährlich und spielt jetzt den kleinen Obergötzen des Otherlandnetzwerks. Wen interessiert’s?« Renie richtete einen zitternden Finger auf ihn. »Du und deine egomanischen alten Spießgesellen, ihr seid über Kinderleichen gegangen, um ewig zu leben, um euch das teuerste Spielzeug in der gesamten Weltgeschichte zu bauen. Ich hoffe, dein Freund Dread läßt tatsächlich das ganze Ding in Flammen aufgehen, selbst wenn wir mit dran glauben müssen. Hauptsache, die Welt ist ein für allemal von dir befreit.«
Jongleur fixierte sie scharf, dann faßte er !Xabbu und Sam ins Auge. Das Mädchen stieß einen leisen Fluch aus und wandte sich ab, aber !Xabbu hielt Jongleurs Blick mit unbewegter Miene, bis der ältere Mann sich wieder Renie zudrehte.
»Sei still, dann will ich dir etwas erzählen«, sagte er. »Ich hatte ein Environment für mich persönlich gebaut. Was es war, spielt keine Rolle, aber es war ausschließlich für mich da, abgetrennt vom Gralssystem. Es war mein Erholungsort, wenn mir die Lasten und Sorgen dieses Projekts zuviel wurden. Ein System ohne jede Verbindung zur Gralsmatrix, ein sogenanntes dediziertes System, falls du den Ausdruck kennst.«
»Ich weiß, was das ist«, sagte Renie verächtlich. »Worauf willst du hinaus?«
»Auf folgendes. Niemand außer mir hatte Zugang zu diesem virtuellen Environment. Aber eines Tages, vor gar nicht langer Zeit, mußte ich feststellen, daß sich doch jemand Zugang verschafft und es infiziert hatte. Was ich geschaffen hatte, war ruiniert. Ich kam erst nach langer Überlegung darauf, daß der Andere selbst in dieses dedizierte System eingedrungen war – wozu er eigentlich nicht hätte imstande sein dürfen.«
Er machte eine Pause. Renie wußte mit der Geschichte nichts anzufangen. »Und?«
Jongleur schüttelte mit gespielter Enttäuschung den Kopf. Ein Funkeln in seinen Augen verriet Renie, daß der Widerling sich auf eine perverse Art amüsierte. »Ich habe dich schon wieder überschätzt, wie ich sehe. Na schön, ich will’s dir erklären. Eingriff in dieses Environment kann der Andere nur über mein Privatsystem genommen haben, das heißt, er muß den Schlüssel dazu aus meinem Haussystem gestohlen oder sonstwie unter seine Kontrolle gebracht haben. Aus meinem persönlichen System, nicht aus dem Gralsnetzwerk. Und jetzt ist der Andere in der Gewalt von John Dread.«
Ein unheimliches Gefühl beschlich Renie. »Das … das heißt, der Andere … ist nicht mehr auf das Gralssystem beschränkt.«
Jongleurs hämisches Lächeln verzog seine Lippen, aber mehr nicht. »Korrekt. Wenn ihr euch nochmal überlegen wollt, auf welche Seite ihr euch schlagt, solltet ihr folgendes mit bedenken. Weit davon entfernt, ein gewöhnlicher Psychopath zu sein, hat Dread nicht nur die Kontrolle über das gewaltigste und komplexeste Betriebssystem, das jemals entwickelt wurde, sondern diesem Systemgeist ist es mittlerweile gelungen, aus der Gralsprojektflasche in mein
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