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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Wachsamkeit, die darauf hindeutete, daß er damit rechnete, jeden Moment einen Schlag versetzt zu bekommen. Unter seiner großspurigen Fassade war die Angst deutlich zu erkennen.
    Wenn das Innere der Menschen außen wäre, dachte Ramsey, dann hätte dieses Kind und nicht Sellars Narbengewebe von Kopf bis Fuß.
    Sellars beugte sich vor und legte dem Jungen eine zitternde Hand an den Hals. Cho-Cho schüttelte ihn ab und fuhr in die Höhe. »Wase mach, loco? Faß mich an und so mierda?«
    Der alte Mann seufzte. »Señor Izabal, sei so gut, leg dich hin und halt den Mund. Ich mache nichts weiter, als Kontakt mit dem Ding in deinem Hals aufzunehmen, deiner Neurokanüle.« Er wandte sich an Ramsey. »Ich könnte sie natürlich auch anfunken, aber es ist eine ziemliche Pfuscharbeit, und ich bekomme weniger Interferenzen, wenn ich den Kontakt direkt herstelle.«
    »Eh! ’ab ich satt efectivo für geblecht, Alter.«
    »Man hat dich übers Ohr gehauen, Amigo.« Sellars lachte schwach. »Nein, nicht böse werden, ich habe nur Spaß gemacht. Sie erfüllt ihren Zweck vollkommen.«
    Cho-Cho legte sich wieder hin. »Aber nich fummeln, eh.«
    Sellars nahm den Kontakt wieder auf. »Mach bitte die Augen zu.« Als der Junge das getan hatte, schloß der alte Mann seine ebenfalls und wandte dann das Gesicht nach oben. »Siehst du das Licht noch, mein junger Freund?«
    »Bißchen. Ganz grau.«
    »Gut. Jetzt warte einfach. Wenn alles gutgeht, bist du in wenigen Minuten wieder im Netzwerk wie die andern Male auch – dort, wo es dir so gut gefallen hat. Du wirst meine Stimme im Ohr haben. Mach nichts. Erst wenn ich es dir sage.«
    Cho-Chos Mund war schlaff geworden und aufgeklappt. Seine Finger, eben noch zu Fäusten geballt, lösten sich.
    »Jetzt …«, sagte Sellars, dann verstummte er. Er war regungslos wie ein Stein, aber im Unterschied zu Cho-Cho wirkte er nicht bewußtlos, sondern im höchsten Maße konzentriert, entrückt wie ein meditierender Heiliger.
    Ramsey sah zu und fühlte sich nutzloser denn je. Das Schweigen dauerte so lange, daß er sich schon fragte, ob es Sellars stören würde, wenn er den Wandbildschirm anstellte und Nachrichten guckte, als der alte Mann urplötzlich in seinem Sessel hochfuhr und die Hand vom Hals des Jungen wegriß, als hätte er sich an dessen Haut verbrannt.
    »Was ist los?« Ramsey eilte herbei, doch Sellars reagierte nicht. Er zuckte heftig, riß weit die Augen auf und preßte sie gleich wieder zu. Dann fiel er vornüber. Wenn Ramsey nicht die Arme um den dünnen Körper geschlungen hätte, der leicht wie ein Sack Federn war, wäre Sellars auf den Boden gestürzt. Ramsey drückte ihn wieder zurück, doch der alte Mann hing haltlos im Sessel und tat keinen Mucks. Der Junge lag nach wie vor auf der Couch, ebenso schlaff, ebenso still. Ramsey versuchte vergeblich, Sellars wachzurütteln, dann sprang er mit wachsender Verzweiflung zur Couch hinüber. Der Kopf des Jungen hüpfte auf den Kissen, als Ramsey ihn schüttelte, doch blieb still liegen, als er damit aufhörte.
     
    »Sie atmen beide noch.« Sorensen ließ Sellars’ Handgelenk los und erhob sich. »Bei beiden fühlt sich der Puls normal an.«
    »Wenn es dieses Tandagoredings ist, hat das nichts zu besagen«, meinte Ramsey bitter. »Meine Mandanten … bei ihrer Tochter sind Puls und Atmung seit Monaten normal, seit sie im Koma liegt. Bei ihrem Freund war’s genauso – jetzt ist er tot.«
    »Scheiße.« Sorensen stopfte sich die Hände in die Taschen – damit man ihm seine Hilflosigkeit nicht so ansah, vermutete Ramsey. »Scheiße! In was für einer gottverdammten Lage sind wir jetzt?«
    »In derselben wie vorher, nur noch ein bißchen schlimmer.« Ramsey konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder aufzustehen, so schwer fühlte er sich. »Sollen wir sie in ein Krankenhaus bringen?«
    »Ich weiß nicht. Scheiße.« Sorensen ging durchs Zimmer und setzte sich in den zweiten Sessel. Auf der Couch wäre zwar noch Platz gewesen, da das bewußtlose Kind nur zwei Drittel davon beanspruchte, aber Ramsey verwunderte die Wahl des Majors nicht. »Hat ein Krankenhaus irgendeinem der Tandagorefälle helfen können?«
    »Tandagore. Nein. Na ja, ich nehme mal an, man paßt dort auf, daß sie sich nicht wundliegen.« Das brachte ihn auf einen Gedanken. »Und sie müssen mit dem Tropf ernährt werden. Und einen Katheter eingesetzt bekommen, vermute ich.«
    »Einen Katheter …? Schreck laß nach.« Major Sorensen wirkte eher deprimiert als erschrocken –

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