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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gewußt, daß etwas Schlimmes passieren würde. Sie lief nicht richtig, aber sie ging die Treppe vom Pool so schnell hoch, wie sie konnte, und mußte dabei immerzu an den armen Herrn Sellars denken, an seine pustige Stimme und seinen müden Blick …
    »Christabel!« Ihre Mutter klang zornig und erschrocken. »Christabel! Komm sofort zurück!«
     
    »Christabel, was zum Teufel machst du denn hier?« knurrte ihr Vater, als sie ins Zimmer stürzte. »Wo ist deine Mutter?«
    »Sie ist mir weggelaufen, Mike«, sagte Mami, krampfhaft die Sonnencreme und die anderen Sachen an sich gepreßt, die sie nicht mehr in die Tasche hatte stecken können. »Sie ist einfach … O Gott. Was habt ihr mit ihnen gemacht?«
    »Wir haben gar nichts mit ihnen gemacht«, entrüstete sich ihr Vater.
    »Herr Ramsey, was ist passiert?« fragte Mami.
    Christabel konnte den Blick nicht abwenden. Herr Sellars sah grauenhaft aus. Er saß behutsam hindrapiert in einem Sessel wie eine der mexikanischen Mumien, die sie mal im Netz gesehen hatte, den Mund zu einem O gespitzt, als ob er pfeifen wollte, die Augen halb geschlossen. Das erschreckend ausdruckslose Gesicht verschwamm, als ihre Augen sich mit Tränen füllten.
    »Ist er tot?«
    »Nein, Christabel«, sagte Herr Ramsey, »er ist nicht tot. Ich habe sogar gerade mit ihm gesprochen.«
    »Du willst mir erzählen, obwohl er so aussieht, hätte er mit dir gesprochen?« sagte Christabels Papi.
    »Er hat mich angerufen.«
    »Was?«
    Während die Erwachsenen sich mit leisen, aber hektischen Stimmen unterhielten, trat Christabel zu Herrn Sellars und berührte sein Gesicht.
    Die Haut, die schon immer wie eine geschmolzene Kerze ausgesehen hatte, war härter, als sie vermutet hätte, fest wie das Leder ihrer guten Schuhe. Sie war jedoch warm, und als sie sich nahe heranbeugte, hörte sie ganz hinten in seiner Kehle ein schwaches Röcheln.
    »Stirb nicht«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Stirb nicht, Herr Sellars.«
    Erst als sie sich von ihm wegdrehte, bemerkte sie Cho-Cho auf der Couch. Ihr bummerte das Herz in der Brust, als wollte es gleich herausspringen. »Ist er auch krank?«
    Die Erwachsenen hörten sie nicht. Herr Ramsey versuchte, ihren Eltern etwas zu erklären, aber sie unterbrachen ihn immer wieder mit Fragen. Er sah müde und ganz, ganz kummervoll aus. Alle Erwachsenen sahen so aus.
    »Und ich kann sie nicht mal anrufen«, sagte er gerade über eine Frau, die Christabel nicht kannte. »Aus irgendeinem Grund komme ich bei ihrer Nummer nicht durch. Sie muß am Durchdrehen sein.«
    Christabel starrte Cho-Cho an und fand, daß er anders aussah als der Junge, der sie verspottet und ihr Angst eingejagt hatte. Sein Gesicht war gar nicht hart, wenn er schlief, gar nicht zum Angsthaben. Klein war er. Sie sah das Plastikding hinter seinem Ohr – seine Can, wie er es nannte, wenn er damit angab – und die rauhe Haut darum, die nicht richtig verheilt war.
    »Werden sie sterben?« fragte sie. Als die Erwachsenen immer noch nicht antworteten, fühlte sie, wie etwas in ihr ganz heiß wurde, heiß und wütend und platzig. Sie schrie: »Ich hab gefragt, ob sie sterben werden!«
    Mami, Papi und Herr Ramsey drehten sich überrascht zu ihr um. Sie war selber ein bißchen überrascht, nicht nur weil sie geschrien hatte, sondern auch weil sie schon wieder weinte. Sie war völlig durcheinander.
    »Christabel!« sagte ihre Mutter. »Schätzchen, was …?«
    Sie schob die Unterlippe vor, um zu verhindern, daß sie richtig doll losheulte. »Werden sie … werden sie sterben?«
    »Sch-sch, mein Schatz.« Ihre Mami kam zu ihr, hob behutsam den kleinen Jungen von der Couch und setzte sich mit ihm auf dem Schoß hin. »Komm her«, sagte sie, streckte die Hand aus und zog auch Christabel zu sich. Christabel gefiel es gar nicht, wie der Junge aussah, nicht einfach normal schlafend, sondern so schlackerig, und sie wollte ihn nicht anfassen, aber sie preßte sich an ihre Mutter und ließ sich von ihr umfangen.
    »Schon gut«, sagte Mami leise. »Es wird schon wieder werden.« Sie strich ihr übers Haar, doch als Christabel aufschaute, betrachtete ihre Mutter Cho-Cho mit einem Blick, als wollte sie auch gleich zu weinen anfangen. »Es wird alles gut werden.«
    Es war Herr Ramsey, der schließlich ihre Frage beantwortete. »Ich glaube nicht, daß sie sterben werden, Christabel. Sie sind nicht richtig krank – es ist eher so, als ob sie schlafen.«
    »Dann weck sie auf!«
    Herr Ramsey kniete sich neben die Couch. »Wir

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