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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ihren Hals legte.
    »Ich spür’s«, sagte es. »Wir sind fast da.«
    Oben auf dem Hügelrücken verlief eine hohe Mauer, die natürlich wie alles in Holla Buschuschusch eine Hecke war. Völlig ausgepumpt lehnte sich Renie dagegen, um vor dem Hinübersteigen noch einmal kurz zu Atem zu kommen. Sie blickte zurück und sah etwa zweihundert Meter entfernt Klement unbeirrt den Hügel hinaufspazieren. Hinter ihm glitten sechs oder sieben Tecks durch das Dickicht wie Haie und kamen rasch näher. Von dieser Warte aus war kein Irrtum möglich. Ob sie nun hinter Klement oder hinter Renie und ihrer Gefährtin her waren, sie hatten auf jeden Fall zielgerichtet die Verfolgung aufgenommen.
    Renie schimpfte wie ein Rohrspatz. Sie hob das Mädchen, dessen Gewicht sich verdreifacht zu haben schien, auf die Hecke hinauf und kletterte dann ihrerseits hinterher, während die Kleine sich oben festhielt. In ihrem erschöpften Zustand war die Anstrengung beinahe zuviel für sie, aber schließlich brachte sie doch noch die Kraft auf, sich hochzuziehen.
    Von oben sah sie ein Stück weiter unten einen breiten schwarzen Streifen, der sich durch das schier endlose Gestrüpp schlängelte: Der Fluß war ganz nahe! Hinter ihr jedoch hatten sich die Tecks zum Fuß des Hügels vorgeschlängelt und Ricardo Klement beinahe eingeholt. Sie sausten die Anhöhe hinauf wie eine jagende Hundemeute, doch als sie ihn erreichten, wichen sie ihm aus, als wäre er ein im Weg stehender Baum, und ließen ihn unbehelligt weitergehen, ja schienen ihn nicht einmal zu bemerken. Ohne zu zögern hielten sie auf die Stelle zu, wo Renie immer noch entgeistert gaffend oben auf der Hecke hing.
    Mit einem Fluch packte sie das Steinmädchen und ließ es so weit ab, bis es springen konnte, dann schwang sie ihrerseits die Beine hinüber und rutschte an den kratzenden Ästen zu Boden.
    »Wo ist die Brücke?« schrie sie dem Steinmädchen zu. »Sie sind direkt hinter uns!«
    Die Kleine nahm ihre Hand und zog sie auf schräger Bahn den Hang hinunter. Die Tecks glitten hinter ihnen über die Pflanzenwand wie Wolkenfinger über eine Bergkette. Renie raffte das kleine Mädchen auf und lief, so schnell sie konnte.
    Als sie das dichte Gebüsch am Ufersaum erreichten, hörte Renie schon das Knacken und Streifen ihrer Verfolger.
    »Da!« quiekte das Steinmädchen.
    Die Brücke war kaum zu sehen gewesen. Wie alles in Holla Buschuschusch bestand sie aus lebendigen Pflanzen und versank völlig im Uferdickicht, bevor sie sich in einem weiten Bogen über das Wasser spannte. Renie nahm die letzten Schritte Anlauf und sprang dann mit dem Mädchen auf dem Arm zum rettenden Brückenaufgang empor. Erst als sie Wasser unter sich hatte, riskierte sie einen Blick zurück.
    Die Tecks hatten hart am Rand des Flusses angehalten, waren sich aber über die greifbare Nähe ihrer Beute sichtlich im klaren. Sie machten ein paar Ansätze, die Brücke zu betreten, doch irgend etwas hinderte sie daran.
    »Ich denke, wir sind in Sicherheit«, keuchte Renie. »Müssen wir … müssen wir jetzt nicht … einen Spruch aufsagen … bevor wir rübergehen? ›Ene mene muh‹ … oder so?«
    »Ich will nicht rübergehen.«
    »Wir müssen. Wir können nicht zurück – schau dir diese Bestien an! Die warten nur auf uns.« Aber wieso haben sie Klement nichts getan? »Auf, gehen wir!« sagte sie zu dem Kind. »Wir werden’s schon packen.«
    »Nein, werden wir nicht«, murmelte das Steinmädchen, sagte dann aber trotzdem schicksalsergeben den Abzählreim auf. »Es ist das Häckselhaus«, betonte sie danach noch einmal. »Der Weg hier führt zum Häckselhaus.«
    »Na, schlimmer kann’s nicht werden.« Renie drehte sich zur Flußmitte zurück.
    »Doch, kann es«, widersprach das kleine Mädchen. »Du wirst sehen.«
     
    Sie war auf den Nebel gefaßt gewesen, der zur Brückenmitte hin immer dichter wurde, auf die Art, wie der Fluß unter ihnen verschwand und sogar sein Rauschen ganz leise wurde, kaum lauter als ein ununterbrochenes Einatmen, doch die plötzliche Dunkelheit kam unerwartet. Die wenigen fernen Sterne von Holla Buschuschusch erloschen abrupt, und der schwarze Himmel schien zu verlaufen und wie Farbe über alles zu fließen. Und als die ersten vagen Umrisse des Ortes, den das kleine Mädchen das Häckselhaus genannt hatte, aus dieser Dunkelheit auftauchten, erkannte Renie, daß sie darauf in keiner Weise gefaßt gewesen war.
    Sie hatte, nachdem ihr die Herkunft des Wortes aufgegangen war, mehr oder weniger ein

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