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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Der Pfad war uneben, aber breit, und das Licht der milchigen Sterne reichte aus, daß sie sich mit etwas Vorsicht sicher darauf fortbewegen konnte.
    Das Weinen ertönte in Abständen immer wieder. Während ihr holperiger Weg nach unten sich immer mehr in die Länge zog, kam Renie die Befürchtung, daß irgendeine akustische Täuschung sie weiter von dem Geräusch wegführte, daß dieses in Wirklichkeit von oben kam. Allein die Tatsache, daß der Brunnen, wenn er es denn tatsächlich war, langsam enger wurde und die gegenüberliegende Wand mit jedem vollendeten Kreis näher heranrückte, hielt sie davon ab, resigniert aufzugeben.
    Als zuletzt ihr ohnehin schon erschöpfter Körper dem Zusammenbruch nahe war und ihr Wille zu versagen drohte, erspähte sie den Grund des Brunnens. Doch er war unerreichbar.
    Der Weg, der erst immer schmäler geworden war, verschwand auf einmal vollends in der Wand. Sie stand zehn oder fünfzehn Meter über dem Boden, wo ein dunkles Rinnsal, durchzogen von matten blauen Lichtern, über das rauhe Gestein murmelte. Eine kleine, krumme Gestalt kauerte neben diesem Flüßchen.
    »Bist du das?« fragte Renie. Die Gestalt blickte nicht auf. Das Geräusch leisen Weinens, herzzerreißend und unheimlich, stieg zu Renie empor. »Steinmädchen?«
    Die kleine Gestalt verstummte. Sie fürchtete schon, es sei eine Illusion gewesen, sie habe einen Felsbuckel dort unten an diesem öden Ort im ödesten aller Universen mit einem Kind verwechselt, das Weinen komme in Wirklichkeit von nirgendwo oder überall, es sei endlich an der Zeit, daß sie sich hinlegte und starb und damit sämtliche Probleme ein für allemal löste. Da schaute das Kind auf.
    Es war Stephen.

Vier
Die armen Kinder
    Als sie auf die Wiese kam, so lag da der Wolf an dem Baum und schnarchte, daß die Äste zitterten. Sie betrachtete ihn von allen Seiten und sah, daß in seinem angefüllten Bauch sich etwas regte und zappelte. »Ach Gott«, dachte sie, »sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot hinuntergewürgt hat, noch am Leben sein?«
     
    Brüder Grimm, »Der Wolf und die sieben jungen Geißlein«

Kapitel
Wochenendarbeit
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    SeeScheidenStoßtrupp – ein Schuß in den Ofen?
    (Bild: S3-Mitglieder mit Fischmasken und Schottenröcken )
    Off-Stimme: Der »SeeScheidenStoßtrupp«, der militante Arm einer Antinetzgruppe, die sich selbst das Dada Retrieval Kollektiv nennt, hat einen weiteren Fehlschlag in seinem Kampf hinnehmen müssen, »das Netz zu killen«, wie es im Gruppenjargon heißt. Zum fünften Mal seit der Ausgabe dieses Ziels ist eine SeeScheiden-Aktion völlig gescheitert. Diesmal kam bei dem Versuch, die Bestelldaten eines der größten Online-Händler zu löschen, was theoretisch einen Einnahmeverlust in Milliardenhöhe bedeutet hätte, nichts anderes heraus, als daß die Kunden elektronische Weihnachtskarten mehrere Monate zu früh erhielten.
    (Bild: DRK-Mitglied mit Sepp-Oswalt-Maske)
    DRK-Mitglied: »Ihr unterschätzt total, was für ein Schock das für die jüdischen und moslemischen Kunden war, diese Weihnachtskarten zu kriegen. Es hat ein paar Rückschläge gegeben, bong, aber wir sind weiter voll auf dem Weg, unser Ziel zu erreichen. Wartet ab, bis wir die Präsidentschaftswahlen häcken.«
     
     
    > Calliope Skouros saß inmitten ihres Samstagmorgenchaos – ungespülte Kaffeetassen und Frühstücksteller, manche noch vom Mittwoch, auf dem Wandbildschirm das Geplapper der Nachrichten, dazu in einem Fenster das Gackern und Quietschen einer turbulenten Kindersendung, bei der sie hängengeblieben war – und fragte sich, wie es Menschen gehen mochte, die so etwas wie ein Privatleben hatten.
    Dabei dachte sie gar nicht einmal so sehr an Sex, eher einfach an Gesellschaft. Was wäre es wohl für ein Gefühl, neben einem anderen Menschen zu sitzen – der Kellnerin Elisabetta nur mal zum Beispiel – und sich über den bevorstehenden Tag zu unterhalten, vielleicht einen Gang ins Museum oder in den Park zu planen, statt ständig bloß zu überlegen, wie lange sie ihren Waschtag noch hinausschieben wollte oder ob sie die Schale Eis nach dem Abendessen einsparen mußte, wenn sie jetzt noch eine zweite Waffel aß?
    Wenn es in der Arbeit Pannen gab oder drastische Veränderungen wie jetzt, wo sie und Stan von dem nunmehr offiziell beerdigten Fall Merapanui abgezogen worden waren, war es viel schwerer, mit der Einsamkeit fertig zu werden.
    Vielleicht sollte ich mir ein Haustier zulegen, dachte sie. Ach

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