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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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entkommen.«
    »Aber werden die Lianen nicht auch herunterfallen?«
    Renie hielt auf dem immer noch schaukelnden Seil inne. »O Scheiße!«
    »Du hast ein böses Wort gesagt!«
    »Ich fürchte, ich werde gleich noch mehr sagen. Verdammt nochmal, wie kann ein einzelner Mensch nur so dämlich sein?« Sie balancierte mit erhöhter Geschwindigkeit auf der Liane weiter. Sie waren bis jetzt nur deshalb verschont geblieben, erkannte sie, weil das Feuer sich viel rascher nach oben ausbreitete als nach unten zu der Stelle, wo die Lianen am Turm verankert waren.
    Sie blickte zwischen den Füßen hindurch auf den Boden, um zu sehen, wohin sie fallen würden, wenn die Lianen rissen, und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan. Massen von weißen Gestalten schlängelten sich dort unten im Strauchwerk hin und her wie Delphine, die im Kielwasser eines Schiffes spielten.
    »Eil dich!« zischte sie dem Steinmädchen zu. »Wenn du nicht mehr kannst, trage ich dich wieder.«
    Jetzt war es ein Rennen gegen das Feuer, das sie selbst gelegt hatte, und Renie wünschte, sie hätte sich mehr Zeit genommen, die Lianen zu inspizieren, und nicht unbesehen den erstbesten vertraut. Sie blieben zwar leidlich weit auseinander, aber nicht immer eine über der anderen: Nach noch einmal zehn Metern war die, an der sie sich mit den Händen entlanghangelten, abgesunken und kaum mehr höher als die andere. Renie nahm das Steinmädchen wieder auf den Rücken, da sie sich fast waagerecht strecken mußte und das Mädchen sich nicht mehr an Renies Bein abstützen konnte, wenn der Abstand zwischen den Lianen zu groß wurde.
    Hinter ihnen am Turm riß etwas mit einem scharfen Knall, und die untere Ranke sackte gefährlich ab. Zum Glück hielt sie, und Renie konnte fast wieder aufrecht stehen, nur fühlte sich die Liane mit einemmal sehr locker an. Sie schaute zurück und sah, daß aus dem obersten Teil des Turmes die Flammen haushoch in den Himmel schlugen. Plötzlich begann ein großes brennendes Stück zu kippeln und brach ab. Irgendwer mußte ihr entsetztes Gebet erhört haben, denn die Turmwand fiel in die andere Richtung, doch der Sturz brachte den ganzen elastischen Bau zum Wackeln. Die Lianen hüpften wie gezupfte Saiten, und Renie mußte beide Arme um den oberen Strang schlingen, um mit dem zappelnden Steinmädchen auf dem Rücken nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    Ihnen blieben jetzt nur noch Sekunden – wenn sie Glück hatten –, und Renie verfluchte sich dafür, daß sie sich blindlings für die längsten Lianen entschieden hatte. Sie hatte vor der unvermeidlichen Rückkehr auf den Boden so weit wie möglich vom Turm wegkommen wollen, doch jetzt wünschte sie sehnlichst, sie könnten irgendwo in der Nähe auf ein Dach springen. Sie starrte angespannt auf ihre seitwärts vorrückenden Füße, um in dem grell flackernden Licht ja keinen Fehltritt zu tun, während das Steinmädchen sich an ihre Schultern hängte und still vor sich hinweinte.
    Dann war es soweit. Der Haltestrang straffte sich in ihrer Hand, als ob jemand kräftig daran gezogen hätte, und Renie entschied sich blitzschnell, loszulassen und mit beiden Händen die untere Liane zu packen.
    »Halt dich an mir fest!« schrie sie, während sie die Beine um diesen letzten Halt schlang. Das Gewicht des kleinen Mädchens riß sie nach hinten, doch Renie klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an und das Steinmädchen auch. Während sie kopfunter dort hingen, riß weit hinter ihnen der obere Strang mit einem Knall ab, und im nächsten Moment sauste das rot glühende Ende an ihnen vorbei wie eine Peitsche. Renie fühlte, wie die rauhe Oberfläche ihr die Finger aufschrammte.
    Hätte mir den Kopf abreißen können, durchzuckte es sie. Die gerissene Liane, ein tonnenschweres Faserseil, war schnell wie ein Geschoß vorbeigepfiffen. Wir müssen loslassen, begriff sie entsetzt, bevor die nächste…
    Diesmal blieb ihr nicht einmal mehr die Zeit, das kleine Mädchen zu warnen. Renies Finger lösten sich genau in dem Moment, als der zweite Strang mit einem ähnlichen Peitschenknall zerbarst. Im Stürzen hörte sie ihn an der Stelle vorbeizischen, wo sie eben noch gehangen hatten.
    Sie landeten in dichten Sträuchern, wie es sich anfühlte, aber dennoch trieb der Aufprall Renie die Luft aus den Lungen wie der Schlag einer Riesenhand. Sekundenlang konnte sie nicht einatmen und lag würgend mit dem Gesicht nach unten im stachelnden Gezweig.
    Als sie sich schließlich taumelnd hinstellen

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