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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Frühstück richten konnte, sondern hatte auch noch eine Runde durchs Haus gemacht, um die brennengelassenen Kerzen auszupusten und Gäste vor die Tür zu setzen, die an den unmöglichsten Orten eingeschlafen waren. Bei der Erinnerung daran wollte es ihr scheinen, als wäre ein strenger Ordnungssinn nicht die schlechteste Eigenschaft, die ein Mann haben konnte.
    Nachdem sie das Haussystem ihres Projekts durchgecheckt und sich vergewissert hatte, daß es selbst mit den extremen Anforderungen, die Dread zur Zeit daran stellte, hervorragend fertig wurde, wollte sie gerade Dateien über einige Besonderheiten ihrer Expedition in das Gralssystem zur späteren näheren Betrachtung anlegen, als sie auf etwas Merkwürdiges stieß.
    Es war eine Partition in Dreads eigenem System, eine Ausgliederung von Daten, aber das war nicht das Ungewöhnliche daran. Alle Systeme wurden aus Organisationsgründen unterteilt, und die meisten Leute, die viel direkt online arbeiteten, gestalteten ihre Systemenvironments genauso nach ihren individuellen Wünschen, wie sie ihre RL-Häuser einrichteten. Was sie von Dreads Ordnung gesehen hatte, war dagegen so unpersönlich, daß es sie beinahe beunruhigte: Zum Beispiel hatte er niemals eine der vorgegebenen Einstellungen, Namen oder Infrastrukturen des originalen Systempakets geändert. Es war ein bißchen so, als merkte man eines Tages, daß die Bilder auf dem Schreibtisch des Vorgesetzten noch die lächelnden Werbegesichter waren, die mit dem Rahmen verkauft worden waren. Nein, es war in keiner Weise ungewöhnlich, daß man seinen Speicher partitionierte. Aber das Interessante an dieser Partition war, daß sie unsichtbar war beziehungsweise sein sollte. Sie überprüfte die Verzeichnisse, aber es gab keinen Eintrag für den ziemlich umfangreichen geschützten Bereich, über den sie zufällig gestolpert war.
    Eine kleine Geheimtür, dachte sie. Hallo, Mister Dread, du hast ja doch ein paar Sachen, die du gern für dich behalten würdest!
    Es war irgendwie niedlich, wie wenn ein kleiner Junge sein Baumhaus versteckte. Für Mädchen verboten! Aber natürlich war Dread bei diesen Sachen ein Stümper und Dulcy ein Mädchen, vor dem sich nur außerordentlich schwer etwas verstecken ließ.
    Sie zögerte, wenn auch nicht sehr lange, um sich davon zu überzeugen, daß sie es lassen sollte, daß ihr Boß nicht nur ein Recht auf sein Privatleben hatte, sondern zudem ein Mann war, der reichlich gefährliche Sachen für gefährliche Leute machte, Leute, denen ihre Sicherheit außerordentlich wichtig war. Aber Dulcy (die in solchen Streitgesprächen mit sich selbst fast immer den kürzeren zog) fand die Vorstellung leider eher stimulierend als abschreckend. Bewegte sie sich nicht selber in gefährlichen Kreisen? Hatte sie nicht vor wenigen Wochen erst einen Mann erschossen? Die Tatsache, daß sie regelmäßig Albträume deswegen hatte und jetzt wünschte, sie hätte eine Ausrede erfunden, um sich davor zu drücken – defekte Waffe, verriegeltes Türschloß, epileptischer Anfall –, bedeutete keineswegs, daß sie auf einmal mit den großen Jungs nicht mehr mithalten konnte.
    Außerdem, sagte sie sich, ist es spannend, mal einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Zu sehen, womit er sich wirklich beschäftigt. Klar, kann sein, daß es bloß seine Konten sind. Wer ein solcher Pingel ist, dürfte es auch ziemlich genau damit nehmen, seine doppelte Buchführung zu vertuschen.
    Aber das kleine bißchen Schnüffelarbeit, das sie sich gestattete, brachte nicht einmal ein Schlüsselloch zutage, von einem Schlüssel ganz zu schweigen. Falls es hinter der Tür irgend etwas Interessantes gab, würde sie es nicht so leicht herausfinden. Mit dem leisen Schamgefühl, das sie als junges Mädchen beim Durchstöbern der Schreibtischschubladen ihrer Mutter immer gehabt hatte, beseitigte sie alle Spuren ihrer Nachforschungen und ging aus dem System heraus.
     
    Das Geheimfach ihres Auftraggebers piesackte sie eine halbe Stunde später immer noch, als sie vor seinem schlafenden Körper stand, der sich wie ein dunkler Edelstein in die weiße Polsterung des Komabettes schmiegte.
    Es stimmt, ich weiß eigentlich gar nichts über ihn, dachte sie, während sie die schwerlidrigen Augen betrachtete, die winzigen Bewegungen der Iris zwischen den schwarzen Wimpern. Na ja, ich weiß, daß er nicht gerade der ausgeglichenste Mensch der Welt ist. Es war schwer, seine gelegentlichen Wutausbrüche zu vergessen. Aber er hat noch eine andere

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