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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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tiefschwarz war und wie eine chinesische Lackarbeit glänzte. Auf dem Hals saß ein hundeartiger Kopf mit langer Schnauze und spitzen Ohren.
    Als sie den Hochsitz fast erreicht hatte, verstummten die flüsternden Stimmen. Das Hundewesen hatte den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen wie im Schlaf und die Schnauze auf den mächtigen Brustkasten gelegt, so daß sie schon dachte, es wäre tatsächlich eine Statue, als unvermittelt die großen gelben Augen aufklappten.
    Gleichzeitig brüllten sämtliche knienden Gestalten wie aus einer Kehle: »Hallöchen. Dulcy!« Das tausendstimmige Echo donnerte durch den Saal und übertönte ihren erschrockenen Aufschrei. »Verdammt hübsch siehst du heute aus«, fügten sie hinzu, laut wie Artilleriefeuer, mechanisch wie eine Lochpresse.
    In der wieder eintretenden Stille machte sie einen taumelnden Schritt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Das Mischwesen auf dem Hochsitz stand auf und verzog das Maul zu einem langzähnigen, spöttischen Grinsen. Es war fast drei Meter groß. »Na, gefällt’s dir? Das ist meine Art, herzlich willkommen zu sagen.«
    Ich frage mich, ob man sich in der VR in die Hose pinkeln kann. Aber sie sprach diesen Gedanken nicht aus, sondern sagte: »Reizend. Hat mich bloß ein paar Jahre älter gemacht.«
    »Was erwartest du vom Herrn über Leben und Tod – Blumen? Singen und Tanzen? Warte, auch das läßt sich machen.« Er hob das silberne Szepter, und augenblicklich begann es Rosenblätter von der Decke zu schneien. Unter großem Scharren und Murmeln standen die Massen kahlgeschorener Priester aus ihrer knienden Haltung auf und fingen schwerfällig zu tanzen an. »Hättest du gern ’ne bestimmte Musik?«
    »Ich will gar nichts.« Dulcy blickte durch das Blütengestöber zu ihm auf und versuchte das irritierende Spektakel von tausend Priestern zu ignorieren, die mit stierem Blick und Sandalen an den Füßen spastisch auf dem Tempelparkett herumhampelten. »Was ist das hier für ein Laden?«
    »Das ist die zweite Heimat des Alten Mannes.« Er winkte, und die Priester ließen sich wieder auf dem Boden nieder. Die letzten paar Rosenblätter schwebten herab. »Seine Lieblingssimulation – heißt, glaub ich, Abydos. Altägypten.«
    Es war ihr ganz und gar nicht geheuer, eine Unterhaltung mit einem schakalköpfigen Mann zu führen, der fast doppelt so groß war wie sie, einer Figur wie aus einem Horrorspiel oder einem interaktivem Theaterstück. »Der Alte Mann – damit meinst du deinen … Arbeitgeber, nicht wahr? Und wen stellst du dar? Bello, den Wunderhund?«
    Er bleckte wieder die Zähne. »Das ist der Sim, den ich hier immer getragen habe. Klar, damals hab ich noch Befehle empfangen, aber heute bin ich es, der sie gibt.« Er hob die Stimme. »Rollt euch auf den Rücken! Stellt euch tot!« Die Priester warfen sich auf den Bauch, wälzten sich einmal herum und blieben dann bewegungslos liegen, Knie und Ellbogen in die Luft gereckt. »Ich find’s irgendwie amüsant, vor allem wenn ich mir vorstelle, wie stinksauer der alte Wichser darüber wäre.« Er deutete auf einen der am nächsten liegenden Priester, und dieser sprang umgehend auf, tappelte hastig vor den Thron und fiel wieder nieder. Dulcy musterte den Sim neugierig. Er sah tatsächlich wie ein richtiger Mensch aus, bis hin zum Schweißglanz auf seinem kahlen Schädel. »Das ist Dulcy«, erklärte Dread dem Priester. »Du liebst sie. Sie ist deine Göttin.«
    »Ich liebe sie«, leierte der Priester, obwohl er den Gegenstand seiner unverhofft aufgeflammten Zuneigung noch nicht einmal angeschaut hatte. »Sie ist meine Göttin.«
    »Würdest du alles für sie tun?«
    »Das würde ich, o Herr.«
    »Dann zeig ihr, wie sehr du sie liebst. Los!«
    Der Priester rappelte sich auf – er gehörte zu den Dicken, Älteren und war ein wenig kurzatmig – und watschelte zu einer der Wandnischen. Zu Dulcys Entsetzen griff sich der Mann die Öllampe und schüttete sich ihren Inhalt über den Kopf; er stand augenblicklich in Flammen. Sein weißes Gewand fing Feuer und brannte lichterloh. Sein runder Kopf schien in einem feurigen Glorienschein zu schweben. »Ich liebe dich, meine Göttin«, krächzte er, während sein Gesicht schon schwarz wurde.
    »Um Gottes willen, halt! So lösch ihn doch! Halt!« kreischte sie.
    Dread drehte ihr verwundert sein langmäuliges Gesicht zu und hob dann sein Szepter. Die lodernde Gestalt verschwand. Alle anderen Priester lagen weiterhin auf dem Rücken wie tote Heuschrecken auf

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