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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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meinst du damit?« fragte er. »Und wer ist dieser kleine Junge?«
    »Das ist Cho-Cho«, teilte Martine mit. »Sellars’ Helfer. Du hast ihn schon kennengelernt, nur vorher sah er etwas anders aus. Wir haben uns unterhalten, und er wird jetzt bei uns bleiben.«
    »Kannste nullen, Lady«, sagte der kleine Junge patzig. »Ihr seid alle loco.«
    Als Martine und die anderen unten ankamen, hatten Paul und Bonnie Mae sich endlich aufgerappelt. Paul war so erschöpft und zerschlagen, daß er sich am liebsten sofort wieder hingelegt hätte. Er hatte Fragen, viele Fragen, aber nicht die Kraft, sie zu stellen.
    »Was das Wo betrifft«, erklärte Martine, »denke ich, daß wir im Innern des Betriebssystems sind.«
    »Aber ich dachte, da wären wir die ganze Zeit schon drin, mehr oder weniger.«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir waren im Otherlandnetzwerk, und das Betriebssystem durchzieht dieses ganze Netzwerk wie ein unsichtbares Nervengeflecht. Jetzt aber sind wir wahrscheinlich im Betriebssystem selbst oder wenigstens in einem Privatbereich, der ihm allein gehört und wo es vor all seinen Herren geschützt ist, Jongleur und der Gralsbruderschaft und jetzt Dread.«
    »Renie meinte … sie wäre im Herzen des Systems«, erinnerte sich Paul.
    »Woher willst du so etwas wissen?« bemerkte Nandi scharf. »Es ist nicht ganz abwegig, aber es kann doch nur eine Vermutung sein.«
    »Ich weiß es, weil ich den Andern berührt habe, bevor er uns hierher holte«, erwiderte Martine. »Er sprach nicht in Worten zu mir, aber dennoch konnte ich viel verstehen. Und weil wir früher schon einmal an einem solchen Ort waren. Zweimal, genauer gesagt, obwohl die erste Version, die Flickenwelt, unfertig war. Beim letztenmal ist mir die Ähnlichkeit nicht aufgegangen, aber jetzt nehme ich die Muster zum drittenmal wahr.«
    »Wir waren hier … schon mal?« Paul betrachtete die von irgendwoher bekannte Landschaft.
    »Nicht hier, aber an einem sehr ähnlichen Ort, einem eigens geschaffenen neutralen Gelände sozusagen, auf dem wir unserem Gastgeber begegnen sollten. Beim erstenmal warst du nicht dabei, Paul Jonas, aber an das zweite Mal müßtest du dich eigentlich erinnern.«
    »Der Berg!«
    »Genau.« Martine lächelte sparsam. »Und ich hoffe, daß der Andere auch jetzt wieder auf uns wartet. Vielleicht wird es uns diesmal gelingen, mit ihm zu sprechen.«
    »Und wohin sollen wir gehen?« fragte Florimel. »In der Richtung machen die Hügel einen etwas niedrigeren Eindruck …«
    »So ist es«, unterbrach Martine sie. »Aber wir brauchen die Hügel oder das Landschaftsgefälle nicht, um das zu merken. Ich nehme eine große Datenkonzentration dort draußen wahr, lebendig und aktiv und unvergleichlich stark, genau wie ich sie auf dem Berggipfel gespürt habe.« Auf einmal jedoch wirkte sie verstört. »Das stimmt nicht ganz. Sie ist diesmal anders – kleiner, schwächer. Ich … ich glaube, der Andere liegt im Sterben.«
    »Wie kann das sein?« wunderte sich Florimel. »Es ist doch bloß ein Betriebssystem – es ist Code!«
    »Aber wenn’s abext, irgendwie, was passiert dann mit uns?« wollte T4b wissen.
    Martine zog die Schultern hoch. »Das weiß ich nicht, aber ich fürchte die Antwort.« Sie führte die Schar durch das flache Tal und den nächsten Hügel hinauf. Sie waren nur wenige hundert Meter gegangen, als Paul ein Prickeln im Nacken spürte, als ob jemand ihm folgte. Er fuhr herum, konnte aber in den farblosen Hügeln hinter sich nichts erkennen. Dennoch lag eine Unruhe in der Luft, eine Spannung, eine Druckverstärkung, so daß er nur höchst ungern wieder kehrtmachte.
    Auch Martine drehte sich langsam, suchend herum. Sie peilte eine Richtung an und legte lauschend den Kopf schief.
    »Lauft!« sagte sie.
    »Was hast du …?« begann Florimel, doch da riß der Himmel auf.
    Aus dem Nichts brausten auf einmal Winde auf sie nieder, und der Boden bebte. Das Beben ergriff auch die Luft, erschütterte Himmel und Erde zugleich, dann erschien eine ungeheure Gestalt auf der Hügelkuppe, die sie gerade verlassen hatten, verschwommen und dunkel und tierisch. Wetterleuchten umzuckte den häßlichen Kopf. Die Bestie lag auf den Knien und heulte und brüllte vor Wut und möglicherweise Schmerz in einer Lautstärke, daß Paul die Ohren weh taten. Weitere Windstöße peitschten übers Land und trieben Staub vor sich her, so daß er sich die Augen zuhalten und zwischen den Fingern hindurchspähen mußte.
    »Ich sag doch, lauft!« schrie Martine.

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