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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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aus, dieses Haus«, meinte Olga. »Eher wie ein europäischer Landsitz, ein kleiner. Als ich jünger war, habe ich viele solcher Villen gesehen.«
    »Sei vorsichtig!«
    »Keine Bange, Herr Ramsey. Hier lebt schon seit längerem niemand mehr, denke ich.« Das Bild sprang nach vorn – sie faßte nach der Türklinke. »Aber wer hat hier gelebt? Das ist die Frage.«
    Die Tür öffnete sich knarrend. Ramsey hörte es auf ihrem Kanal ganz deutlich, und genauso deutlich hörte er die anschließende Stille. »Olga? Alles in Ordnung?«
    »Es ist … niemand da.« Sie trat aus einem schmalen Flur heraus und gab ihm einen langsamen Rundblick über ein Zimmer, das wie ein alter Salon aussah. Vor den Fenstern waren Läden, das Zimmer war dunkel. Ramsey korrigierte Helligkeit und Auflösung des Bildes, doch außer den ungefähren Konturen der antiken Möbel konnte er immer noch wenig erkennen.
    »Ich sehe nicht viel. Was ist da?«
    »Staub«, antwortete sie lakonisch. »Überall liegt Staub. Die Möbel machen einen ziemlich alten Eindruck. Als wären sie zwei- oder dreihundert Jahre alt. Der Teppich ist auch staubig, aber ich sehe keine Fußspuren. Es ist schon lange, sehr lange niemand mehr hiergewesen.« Sie machte eine lange Pause. »Mir ist nicht wohl hier. Ich finde es unheimlich.«
    »Dann geh, Olga. Bitte. Ich habe dir doch schon gesagt …«
    »Ich frage mich, wer hier gelebt hat. Dieser Felix Jongleur? Aber was für ein Aufwand, sich so etwas auf die Spitze seines Wolkenkratzers zu setzen, wenn er genausogut ein echtes New Orleanser Herrenhaus am Boden haben kann, mit echten Gärten, echtem Park …«
    »Er ist reich und wahrscheinlich verrückt, Olga. Diese Kombination treibt oft die wunderlichsten Blüten.«
    »Wer hier auch gewohnt hat, er kann nicht glücklich gewesen sein.« Die Kamera strich an der Wand entlang, über eine Kommode mit gerahmten Bildern darauf; Ramsey sah strenge Gesichter aus hohen Krägen schauen. »Ein richtiges Spukhaus …«
    »Es wird Zeit, Olga.«
    »Ich denke, du hast recht. Mir ist unbehaglich hier. Aber vorher möchte ich noch in einige der Zimmer gucken.«
    Ramsey hielt seine Zunge im Zaum, doch es fiel ihm schwer. Er konnte ihr nichts befehlen, nur Vorschläge machen – es hatte keinen Wert, ihr ein Ultimatum zu stellen, dem er keine Konsequenzen folgen lassen konnte. Dennoch zerrte ihre distanzierte Gelassenheit an seinen Nerven.
    »Das Eßzimmer – schau, der Tisch ist immer noch gedeckt. Nur für eine Person. Als ob jemand einfach nicht zum Essen nach Hause gekommen wäre.« Der Blick schweifte über staubiges Geschirr und Besteck. Die Gläser waren von Spinnweben zugesponnen. »Es ist wie in Pompeji. Warst du dort schon mal, Herr Ramsey?«
    »Nein.«
    »Ein eigentümlicher Ort. Selbst die alltäglichsten Dinge bekommen unter bestimmten Umständen eine magische Aura.«
    Sie schlenderte noch durch einige andere Zimmer. Nachdem sie sich einen Raum angesehen hatte, dessen zugewebtes Regal mit großäugigen Puppen ihn deutlich als Mädchenzimmer verriet, brach sie ihr langes Schweigen. »Jetzt werde ich gehen. Es ist zu traurig, was es auch damit auf sich haben mag.«
    Ramsey sagte nichts, um sie ja nicht durch irgend etwas von ihrem Entschluß abzubringen. Er hielt sich still, während sie sich wieder nach draußen in den verödeten Garten begab.
    »Olga …?« meldete er sich schließlich, als sie vor einem leeren steinernen Brunnenbecken verharrte.
    »Die Kinder, sie sind nicht in diesem Stockwerk.« Sie seufzte. »Hier oben ist nichts, gar nichts mehr.«
    »Ich weiß…«
    »Gut. Dann gibt es noch einen Ort, wo ich schauen muß«, sagte sie.
    »Was? Wo denn?«
    »Es gibt ein Stockwerk zwischen diesem hier und dem Saal mit den ganzen Apparaten«, erwiderte sie. »Dort muß ich noch hin.«
    »Olga, du hast keine Zeit …!«
    »Ich habe nichts als Zeit, Herr Ramsey. Catur. In meinem ganzen Leben gibt es nichts anderes mehr als diesen Ort hier, diesen Augenblick.« Trotz des träumerischen Tones war ihre Stimme fest. »Ich habe Zeit.«
     
    »Wie es scheint, habe ich den Weg zum Fahrstuhl vergessen«, sagte sie nach einer Weile. Sie hatte den Ring schon einige Minuten nicht mehr hochgehoben, und Ramsey hatte nur ein Hin- und Herschwingen über dem Boden gesehen, über dürrem Laub, knorrigen, toten Wurzeln und rissiger Erde.
    »Beezle«, sprach er in die andere Leitung. »Wohin muß sie gehen?«
    »Mann, keine Ahnung«, schnarrte der Agent. »Ich hab keine Pläne für dieses Stockwerk.

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