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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Die er gerade umgebracht hat.
    Calliope drückte sich ein wenig nach hinten und drehte sich ganz langsam um die Achse ihrer Hüfte, in der glitschigen Pfütze ihres eigenen Blutes, bis sie die Frau sehen konnte, die ebenfalls auf der Seite lag, so als ob sie und Calliope ein Paar völlig abartiger Bücherstützen wären. Das Gesicht war leichenblaß, aber die Augen weit geöffnet. Sie blickten. Blickten sie an.
    Die erschossene Frau gab ein schwaches Wimmern von sich.
    Jo, ich auch, Schwester. Calliope bemühte sich verzweifelt um einen klaren Kopf, wehrte sich, ohne zu wissen warum, gegen die Dunkelheit, die sich ihr über die Augen legen wollte, gegen das Zerfasern ihrer Gedanken. Wir wollten ihn beide haben, auch wenn du vermutlich andere Gründe hattest als ich. Und wir haben ihn beide falsch eingeschätzt.
    Die Augen der anderen Frau wurden noch weiter. Sie stieß abermals einen leisen Seufzer aus.
    Als ob sie mir was sagen wollte. Es tut ihr leid? Sie wußte nicht, daß er zuhause war? Er hat sie gezwungen, mich reinzulocken? Was hat das jetzt noch zu besagen?
    Da sah sie unter der Brust der Frau eine Ecke ihres Pads hervorstehen, rot beschmiert, als ob ein Kind es angemalt hätte. Sie war daraufgefallen, und ihr Körper hatte es vor Dread verborgen. Die Augen der Frau zeigten darauf, dann richteten sie sich stumm flehend auf Calliope.
    »Ich seh’s«, wollte Calliope sagen, doch statt der Worte kamen nur blutige Blasen heraus. Bis ich da hinkomme, bin ich tot, dachte sie verschwommen. Aber wenn ich’s nicht schaffe, auch.
    Sie wollte die Arme ausstrecken, um sich mit den Nägeln in den Teppich zu krallen und sich vorwärtszuziehen, doch sobald sie sie in Brusthöhe hatte, durchfuhr sie ein solcher Schmerz, als hätte jemand auf den Griff des Messers in ihrem Rücken getreten. Schon wurden die Schatten vor ihren Augen dichter, und selbst die Fasern des Teppichs schienen immer weiter zu entschwinden, bis sie wie eine verschneite Waldlandschaft vom Flugzeug aus betrachtet aussahen, da merkte sie auf einmal, daß sie in ihrer Seitenlage ein winziges Stück vorankam, wenn sie mit den Beinen wackelte.
    Den Trick haben sie uns nie beigebracht … Sie kämpfte gegen die sengenden Schmerzen an, die jede Bewegung auslöste. Der Teppich zerrte an ihr wie mit Fingern. Den ganzen Quatsch, wie man Mauern hochklettert, auf Zielscheiben schießt. Kriechen … hätten sie uns beibringen sollen … wie ein Wurm …
    Der Wurm hustete. Der Wurm krümmte sich wie elektrogeschockt, wand sich, stieß sogar ein leises Gurgeln aus. Als der rote Nebel des Schocks sich verzog, fluchte der Wurm still vor sich hin und versuchte weiterzukriechen.
    Schade, daß ich nicht an jedem Ende ein Gehirn habe. Ist das bei Würmern nicht so? Oder waren das die Dinosaurier? Stans Neffen würden das wissen.
    Seit wann interessierst du dich für Dinosaurier, Skouros? fragte Stan sie.
    Sie sind lehrreich, antwortete sie. Sie sind ausgestorben, weil sie dumm waren. Zu groß. Zu langsam. Haben nie ihre ballistischen Westen angezogen.
    Stimmt ja gar nicht – sie haben ihre Ballis angezogen, selbst bei einem Wochenendeinsatz an ihrem freien Tag. Sie haben bloß ihre Partner nicht mitgenommen. Das war das eigentliche Problem. Frag Kendrick, der kennt sich damit aus.
    Na ja, schon gut. Ist auch egal. Sie sind schon lange tot, nicht? Ich setz mich einfach auf die Couch … ruh mich ein bißchen aus.
    Bist du müde, Skouros?
    O ja, Stan. Ich bin total müde … toootaaal … müde …
    Der Nebel hatte sich gelichtet. Sie sah etwas Bleiches vor sich. Den Mond? Er war überraschend nahe. Aber war es denn die richtige Tageszeit?
    Der gespenstisch weiße Umriß war das Gesicht der Frau, nur Zentimeter entfernt. Himmel, nein. Ich war weggetreten, voll weggetreten. Sauerstoffmangel …
    Calliope schob sich vor, bis sie mit den Fingern an das Pad stieß, das abgerundete Gehäuse fühlte.
    Krieg’s nicht auf – es steckt unter ihr…
    Sie drückte schwach mit dem Kopf gegen die Frau, damit diese ein wenig rutschte, doch obwohl die andere die Augen noch offen hatte, reagierte sie nicht. Scheiße, sag bloß nicht, daß sie tot ist. Bitte, bitte nicht … Totes Gewicht. Genau obendrauf. Calliope machte die Hand auf und beobachtete fasziniert, wie sie sich um das Pad schloß. Sie zog daran, rutschte von der schlüpfrigen Oberfläche ab. Sie probierte es noch einmal, trotz des vielen Blutes, das jetzt anscheinend nicht nur auf ihren Händen und auf dem Fußboden und dem

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