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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hielt fest.
    Sie waren immer noch in der Wüste, in !Xabbus imaginärer Kalahari, doch war sie auf eine unfaßbare Art auch die Grube, in der Renie mit dem falschen Stephen gesprochen hatte. Die eben noch so hellen Sterne waren auf einmal unendlich weit weg und schwach wie die letzten Glutpünktchen eines Feuers. Renie und !Xabbu kauerten auf einem Streifen Erde, der vorher den Rand der trockenen Mulde gebildet hatte, doch das Land hatte sich zur Wand der Grube in die Höhe gestreckt, und das Bachbett mit dem dünnen Rinnsal war unerreichbar tief abgesunken, gut fünfzig Meter unter ihr Gesims. Trotz der Entfernung und der verlöschenden Sterne hatte das Licht die unwirkliche Klarheit eines Traumes. Renie sah, daß die Gestalt, die neben dem stärker gewordenen Wasserlauf hockte, keine Ähnlichkeit mehr mit einer Gottesanbeterin hatte, aber ein Kind war sie auch nicht. Es war etwas vollkommen anderes, nicht recht definierbar – klein, dunkel und furchtbar allein.
    Alle werden sterben. Die hauchige Stimme stieg auf wie Rauch. Konnte … die Kinder… nicht retten.
    Ein schimmerndes silbernes Etwas lag auf dem rauhen grauen Steinboden der Grube, genauso unerreichbar, als ob es sich auf einem der Sterne am Himmel befände. Vor Renies Augen wuchsen ihm plötzlich Beine. Wie ein kleiner metallener Käfer krabbelte es von dem Kindwesen weg, bis es blind über die Uferkante in den Fluß stürzte und verschwand.
    Das Feuerzeug, erkannte Renie. Der letzte schwache Hoffnungsschimmer, den sie in der Wüste noch gehabt hatte, ging aus. Wir haben es verloren. Wir haben alles verloren.
    »Das ist die Sonne«, murmelte !Xabbu neben ihr. Im ersten Moment meinte sie, er redete mit ihr, doch seine Augen waren geschlossen, und was er sagte, war krauses Zeug. »Ja. Und jetzt sinkt sie tiefer. Finger so, Daumen abgespreizt. Da – sie geht hinter den Hügeln unter.«
     
     
    > Sie konnte die Augen nicht länger geschlossen halten, auch wenn das Risiko noch so groß war. Schon legte sich die Todesmüdigkeit über sie, ein dunkler Nebel durchzuckt von rotem Licht und winzigen, platzenden Sternen. Wenn sie noch weiter wartete, würde sie der Versuchung erliegen, einfach aufzugeben. Der bohrende Schmerz – er saß im Rücken, wie sie wußte, doch ihr war, als ginge er durch sie hindurch und zur Brust wieder hinaus – trat mehr und mehr in den Hintergrund. Die Empfindung ließ nach.
    Calliope Skouros wußte, daß das kein gutes Zeichen war.
    Hätte Stans Rückruf abwarten sollen, sagte sie sich und hustete den nächsten blasigen Blutschwall hoch. Wünschte, er wäre hier. Guck mal, Chan, könnte ich zu ihm sagen. Dieses eine Mal hab ich meine Balli getragen. Deshalb ist das Messer nicht ganz durch in die Lungen und ins Herz gegangen. Deshalb werde ich mindestens zwei, drei Minuten länger leben. Reichlich Zeit.
    Ja. Reichlich Zeit wofür?
    Calliope versuchte, sich von der Seite auf den Bauch zu wälzen. Wenn sie kriechen konnte, gab es die kleine, die klitzekleine Chance, noch etwas zu tun – vielleicht sich die Treppe hinunterzuschleifen, zur Haustür hinaus. Außerdem war die Gefahr geringer, daß sie mit dem Messer hängenblieb. Sie wußte, daß sie es nicht herausziehen durfte – die Klinge und das schützende Gel der ballistischen Weste waren es wahrscheinlich, was die Wunde wenigstens teilweise geschlossen hielt. Ohne das Messer, das sie beinahe getötet hatte, würde sie in wenigen Sekunden ihr Leben aushauchen.
    Es hatte keinen Zweck. Ihre Arme waren nicht stark genug, um die Drehung hinzukriegen, und somit auch mit Sicherheit unfähig, ihren Körper hochzustemmen. So viele Stunden im Fitness-Center, und jetzt konnte sie nichts weiter als hilflos zappeln wie ein Fisch an Deck eines Schiffes. Vielleicht konnte sie sich mit Ach und Krach ein paar Zentimeter vorwärts ziehen, aber die Treppe hinunter kam sie niemals. Sie hustete, und ein jäher Stich durchschoß sie. Danach konnte sie eine ganze Weile nur stöhnen und die Zähne gegen den Schrei zusammenbeißen, der wahrscheinlich die Wunde tödlich weit aufgerissen hätte.
    Hinter ihr ertönte ein leises Ächzen. Calliope strengte sich an, den Kopf zu heben, doch aus ihrer Perspektive am Fußboden konnte sie nichts erkennen. Johnny Dread mußte ganz am anderen Ende sein – sie hatte ihn quer durch den Raum gehen und sich auf das merkwürdige Bett in der Ecke legen hören, dann war es still geworden. Wer hatte das Geräusch gemacht?
    Die Frau – die Frau, die mit ihm gelebt hat.

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