Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
empfindliches Gewebe, das von einem Chirurgenskalpell angepiekst wurde. Natürlich bin ich hier mächtig. Es weiß, wer ihm die Schmerzen zufügt. Es fürchtet mich.
    Das heißt, wenn es etwas für wahr hält, erkannte er, dann wird das hier auch wahr. Das erklärte, warum die Barriere ihn abhalten konnte – sie versinnbildlichte den Glauben des Systems an die Wirksamkeit seiner allerletzten Abwehrmaßnahmen. Doch wenn das letzte Fünkchen Glaube daran, daß es sich ihm widersetzen konnte, erlosch …
    Es ist alles Spiegelfechterei, dachte er. Eine Welt der Geister, der Magie. Wie in den Geschichten meiner beschissenen Mutter. Der Gedanke paßte nicht so recht zu seiner Feierstimmung, und er verdrängte ihn.
    Aber wo steckt dann das verdammte Ding? Wo verbirgt sich das System? Dread schloß im Hin- und Hergehen die Augen und betrachtete seinen inneren Übersichtsplan. Das Ding, der denkende Teil des Betriebssystems, mußte ganz nahe sein. Wieder hatte er das eigenartige Gefühl, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Es beunruhigte ihn ein wenig – eine lebenslange Abneigung gegen unabgesicherte Situationen und ein starker Kontrolltrieb machten es ihm widerwärtig, sich auf zwei Wirkungssphären verteilen zu müssen –, doch sein Stolz und sein Selbstvertrauen wuchsen gleichzeitig mit seiner Macht, und er schüttelte das Gefühl ab. Aber das Rätsel selbst wurde er damit nicht los.
    Die zwei Sachen sind unlösbar verbunden. Wenn ich das Gehirn des Systems nicht ein für allemal kaputtmache, kriege ich diese ausgebüchsten Penner niemals in die Hand. Aber wenn ich es zu sehr kaputtmache, wenn ich es ganz zerstöre, sind sie weg, tot … entkommen.
    Er konnte die beiden monströsen Agenten Jongleurs nicht mehr hinter der Sperre erkennen. Er wußte nicht, was sie ausgerichtet hatten, aber auf jeden Fall hatten sie das Betriebssystem nicht zur Aufgabe gezwungen, denn die Sperre war noch da, und genausowenig hatten sie ihm Martine oder einen der anderen ausgeliefert. Es gab keine weiteren Kopien der Agenten im Innern der Wolkenkuppel. Was er auch als nächstes tat, er würde es selbst tun müssen.
    Ist mir sowieso das liebste, dachte er.
    Schon baute sich die Erregung der Jagd wieder in ihm auf. Er richtete seine Aufmerksamkeit abermals auf die Netzwerksteuerung, suchte nach einem Hinweis auf die letzte Zuflucht des Systems. Es hatte einen ganzen Haufen neuerer Aktivitäten gegeben, doch sie sagten ihm alle nichts, und während er sich mit den Komplikationen der Vorgangsprotokolle herumschlug, mußte er sich kurz über Dulcys Treulosigkeit ärgern. Dafür hätte ich sie gut gebrauchen können, dieses Hurenaas. Die Entflohenen und das System selbst blieben vor ihm verborgen, sowohl hinter der virtuellen Barriere in dieser absonderlichen Welt als auch in dem ungeheuren, wegelosen Wirrwarr des Netzwerks. Es machte ihn ganz fuchtig, daß er sie bei all seiner gottgleichen Macht nicht einfach finden konnte, daß er gezwungen war, virtuelle Landschaften zu durchforsten oder Gespräche mit virtuellen Kommunikatoren abzuhören.
    Kommunikatoren…! Er machte eine Geste und hielt das silberne Feuerzeug in der Hand. Er öffnete den Kommunikationskanal und stellte fest, daß er aktiv war, doch was er hörte, war blanker Unsinn – schwache, nicht zu identifizierende Stimmen, die irgendwas über Fäden und Sonnenuntergänge und einen sogenannten »Honiganzeiger« brabbelten. Mit der Leitung stimmte offensichtlich etwas nicht, und in seinem Zorn dachte er kurz daran, in sein Loft zurückzukehren und mit Hilfe von Jongleurs Zugangscodes dem ganzen Netzwerk den Saft abzudrehen, es zu töten und es dann mit einem anderen und fügsameren Betriebssystem wiederzubeleben … aber das hätte bedeutet, daß Renie Sulaweyo und Martine und die Leute vom Kreis einen viel zu glimpflichen Abgang geschenkt bekamen.
    Er starrte das Feuerzeug wütend an. Was nützte ihm das verdammte Ding? Ein Kommunikationsgerät, das nicht kommunizierte, voll von Geisterstimmen.
    Aber Dulcy Anwin hatte gemeint, es wäre noch etwas anderes. Wie hatte sie es genannt? Einen V-Fektor. Ein Ding, das nicht bloß Stimmen übertrug, sondern auch … Positionsdaten.
    Dread grinste.
    Wieder öffnete er die Stammdateien des Netzwerks. Die Leitung war heiß, also mußte jemand sie benutzen, auch wenn die Übertragung selbst fehlerhaft war. Er fand rasch die Positionsangaben, aber beide Seiten des aktuellen Gesprächs schienen keinen Standort zu haben. Dread mußte die nächste

Weitere Kostenlose Bücher