Otherland 4: Meer des silbernen Lichts
du … sie dir vor …«
Olga drehte sich um und lief davon.
Im Nu hatte sie den Fahrstuhl erreicht, doch die Tür war zu. Sie schrie nach Ramsey und seinem Agentenfreund, ehe ihr einfiel, daß sie seine Leitung abgestellt hatte, damit sie auf jeden Fall Sellars’ Rückkehr mitbekam.
»Ramsey!« rief sie, als sie die Verbindung wieder aktiviert hatte. »Mach die Fahrstuhltür auf!«
»Kommt schon!« schrie er und klang dabei genauso entsetzt wie sie. »Ich hab ihn schon geholt. Ich rufe die ganze Zeit nach dir. Du hast mich nicht gehört.«
Die Fahrstuhltür zischte auf. Sie sprang hinein und fuhr mit der Hand über den Schließsensor. Die beiden Männer kamen bereits auf sie zugetorkelt; der Dicke schwenkte die Hände und brüllte vergnügt. »Komm zurück! Komm zurück, kleine Frau! Wir wollen bloß ein bißchen Spaß haben!«
»Dieser Fahrstuhl bringt dich nur bis zur Sicherheitszentrale«, erinnerte Ramsey sie, als die Tür endlich zuglitt. »Dort mußt du in den andern umsteigen, der ins Foyer runterfährt. Glaub ich wenigstens. Stimmt das, Beezle?«
»Soweit ich weiß, aber auf mich hört ja keiner«, antwortete die Cartoonstimme.
Etwas krachte mit einer solchen Wucht gegen die schwere Metalltür des Aufzugs, daß Olga sie tatsächlich ein wenig nachgeben sah.
»Hoch«, sagte sie. »Hoch!«
»Wieso hoch? Über dir gibt es nur noch ein Stockwerk. Da sitzt du in der Falle …!«
»Ich fahre nicht nach unten. Na schön, da mach ich’s eben selbst.« Sie schwenkte ihre Marke und berührte den Aufwärtspfeil, doch der Aufzug bewegte sich nicht.
»Dazu muß deine Marke extra freigegeben werden, weißt du nicht mehr?« sagte Ramsey. »Beezle hatte ziemlich daran zu knacken.«
»Mach’s«, bat sie. Ein weiterer Donnerschlag drückte die Tür einen vollen Zentimeter nach innen. Sie hörte, wie der dicke Mann draußen ekelhafte Angebote schrie. »Mach es, um Gottes willen!«
»Schon geschehen, Lady«, ließ sich Beezle vernehmen. Der Fahrstuhl stieg nach oben.
»Selbst mit den vielen Bäumen, diesem verrückten Wald, kannst du dich dort oben nicht lange verstecken, Olga«, redete Ramsey auf sie ein. »Ich verstehe dich nicht.«
»Ich werde mich nicht sehr lange verstecken müssen«, entgegnete sie.
> Sam konnte nur ohnmächtig in den Abgrund starren, aus dem das Ungeheuer mit den toten Augen und den schimmernden Zähnen zu ihnen heraufstieg. Ihre Brust war vor Angst wie erfroren, ein einziger Eisblock, wo das Herz und die anderen Organe hätten sein sollen. Sie hatte hilflos mit ansehen müssen, wie Paul Jonas verbrannt und in die Tiefe geschleudert worden war. Sie konnte nicht einmal mehr schreien vor lauter Angst.
Neben ihr auf dem Felsenpfad schnaufte Martine in kurzen, harten Stößen wie eine Frau bei der Entbindung. Orlando hielt den Kopf der Blinden. Florimel, T4b und die anderen waren alle vor Furcht verstummt. Ein Wirbelwind winziger Schatten ging auf Orlando nieder, einige auch auf Sam.
»’s kommt, ’s kommt, Freddicks«, erklang ein klägliches Flüstern. Sam fühlte, wie die kleinen Affenfinger an ihren Haaren zogen, um einen guten Halt zu finden. »Müssen hier weg!«
»Wir können nirgends hin«, erwiderte sie.
Mit einem Schreckenslaut setzte Martine sich auf, die Augen weit aufgerissen, aber ungerichtet. »Ich fühle ihn, den Andern! Es ist grauenhaft! Er hat keinen Körper. Er ist nur ein Gehirn, ein riesiges Gehirn!«
Sam nahm ihre Hand und unterdrückte einen Schmerzensschrei, als Martine ihre Finger so heftig quetschte, daß sie meinte, die Knochen würden gleich brechen.
Ist eh bald egal, sagte sich Sam. Sie fühlte, wie Orlando ihre andere Hand faßte. Die grinsende Schattengestalt schwebte zu ihnen empor wie ein schwarzes Blatt auf einer lauen, linden Brise.
»Mit dem Körper haben sie sich gar nicht erst abgegeben«, hauchte Sellars’ Stimme eine Million Meilen weit entfernt. Cho-Chos Mund bewegte sich kaum noch. »Es war leichter … bloß das Gehirn … zu behalten.« Die Stimme wurde noch ferner, ein kaum mehr hörbares Signal. »Künstlich erzeugte Zellen … im Falle … ersetzen … sich verkalkuliert … füllte den … Satelliten.«
Martines Atmung ging wieder schneller, wurde ein Stakkato rauher Hecheltöne, die sich nicht mehr menschlich anhörten. Der Schatten hing jetzt direkt vor ihnen.
»Tschüs«, sagte Sam, zu niemand Bestimmtem, nicht einmal zu Orlando. Vielleicht zu sich selbst. »Vorbei«, flüsterte sie. »Es tut mir leid.«
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