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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Andere befindet sich in einem Satelliten auf einer festen Umlaufbahn um die Erde. Kryogenische Apparate verlangsamen seinen Stoffwechsel, machen ihn besser beherrschbar – wenigstens meinten sie das. Sie verbannten ihn in die Leere des Weltraums und versahen sein Gefängnis mit einer Pannensicherung der besonderen Art: Sollte irgend etwas schiefgehen, konnten sie die Raketen starten und ihn aus der Umlaufbahn in den äußeren Weltraum hinausschießen.« Sellars’ Stimme war rauh, brüchig. »Die Apep-Sequenz nannte Jongleur das. Nach der Schlange, die allnächtlich versuchte, die fliegende Barke des Re, des Königs der Götter, zu verschlingen.«
    Martine keuchte. »Mach schnell! Ich … ich kann nicht …« Sie zuckte einmal, noch einmal – rhythmisch, machte es den Eindruck. Paul sah, daß sie ihre Hände vor der Brust hielt und mit den Fingern eigenartige Flechtbewegungen vollführte. » !Xabbu auch … er leidet …«
    »Ich ringe darum, die Verbindung herzustellen«, sagte Sellars durch das schlafende Kind. »Es ist … als wollte man mit einem Faden, der eine Million Meilen lang ist … durch ein Nadelöhr kommen. Und ich … habe das hintere Ende des Fadens … in der Hand.«
    Etwas bewegte sich jetzt weiter oben an der Brunnenwand, ein Punkt von einer solchen Nachtschwärze, daß Paul selbst in dieser düsteren Unterwelt erkennen konnte, wie er mit einer furchtbaren Ruhe und Bestimmtheit den Pfad hinunterschritt.
    »Er kommt«, flüsterte Paul, obwohl er wußte, daß die Bemerkung sinnlos war, daß Sellars nicht schneller machen konnte. »Dread kommt.« Er streifte mit den Fingern über Martines Bein, um sie zu ermuntern. Sie stöhnte und wand sich unter der federleichten Berührung.
    »Nein!« Ihre Hände bewegten sich jetzt schneller, gingen so flink auf und zu, daß die Finger in dem Zwielicht kaum zu sehen waren. »Nicht! Das tut weh!«
    »Bitte berühre sie nicht«, stieß Sellars hervor. »Bitte. Es … ist … ganz nahe. Sehr … schwierig.«
    Die Schattengestalt schraubte sich unbeirrt auf dem Pfad nach unten. Obwohl sie noch weit weg war, erkannte Paul das Glimmen zweier heller Augen. Sein Herz jagte noch schneller in seiner Brust. Wir fühlen, was der Andere fühlt, sagte er sich. Aber das Gefühl hatte ich schon die ganze Zeit, als die Zwillinge mich jagten – seine Angst vor ihnen, seine Angst vor Jongleur. Ich bin nicht mal ein richtiger Mensch, ich bin bloß ein Teil des gottverdammten Netzwerkcodes. Ich habe nicht einmal meine eigenen Gefühle!
    Der dunkle Mann bewegte sich weiter den Pfad hinunter.
    Was hatte das alles in Wahrheit zu bedeuten? Pauls panische Gedanken flackerten wie Flammen im Wind. Wer waren diese Figuren in Wirklichkeit? Ein Mörder oder der Teufel persönlich? Ein Junge, der sich für ein Betriebssystem hielt? Ein Betriebssystem, das sich für einen kleinen Jungen hielt, der in einen Brunnen gefallen war? Wahnsinn. Albträume.
    Es ist tatsächlich der Traum des roten Königs. Genau so. Wenn der Traum vorbei ist, wenn dieses Netzwerk stirbt, wird Paul Jonas verlöschen wie eine Kerze.
    Aber ich bin nicht einmal Paul Jonas, dachte er mit jäher, eisiger Klarheit. Nicht in Wirklichkeit. Ich bin das Produkt des Gralsprozesses, eine Kopie wie Ava. Ich bin bloß eine bessere Kopie, mehr nicht.
    Wie erstarrt blickte er seine Gefährten an. Das einzige Geräusch war das schwere Atmen Martines.
    Das ist das Ende, dachte er, und ich laufe immer noch davon. Lasse mich immer noch treiben. Dabei hatte ich mir vorgenommen, das nicht mehr zu tun …
    Sellars braucht Zeit. Dieser neue Gedanke zerriß den ersten wie ein Schrei. Das einzige, was wir nicht haben. Er braucht Zeit, um meine Freunde zu retten.
    Und was habe ich zu erwarten, selbst wenn ich überlebe? Eine Ewigkeit in diesem Universum hinter den Spiegeln?
    Umgeben von einer unsichtbaren Wolke des Schreckens kam die schwarze Gestalt um die letzte Biegung.
    »Hallo«, rief Dread lachend. »Wartet ihr schon lange?« Die Augen und die gebleckten Zähne des Monsters hoben sich schimmernd von dem kopfförmigen Schatten ab, so daß es aussah, als trüge er die verkohlte Maske der Komödie. »Habt ihr schon Sehnsucht nach euerm alten Kumpel Johnny Dark?«
    Das Ende, dachte Paul. Dann lief er los.
    Er hörte die anderen hinter ihm herrufen, hörte das Erschrecken in ihren Stimmen, doch das war ihm nur leerer Schall. Die giftige Furcht, die von der Schattengestalt ausging, kam über ihn wie eine Gewitterfront aus nervenzerreißender,

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