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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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von den Schultern genommen.«
    Die Zimmertür bebte in den Angeln, ein erstes Splittern war zu hören.
    »Ja … Mutter.« Eine kurze Pause, dann spürte sie ihn wieder. »Erledigt.«
    Sie stieß einen Seufzer aus. Jetzt war sie aller Verpflichtungen ledig. Eine Erinnerung, qualvoll und lange vergraben, kam an die Oberfläche. »Du hast einen Namen, mein Kleiner, wußtest du das? Nein, natürlich nicht, du konntest es gar nicht wissen – aber du hast einen Namen. Dein Vater und ich haben ihn dir gegeben. Wir wollten dich Daniel nennen.«
    Eine ganze Weile kam keine Antwort. »Daniel …?«
    »Ja. Daniel, der Prophet, der selbst in der Löwengrube den Glauben behielt. Aber hab keine Angst – die Löwen können dir nichts mehr tun.«
    »Hab … einen Namen. Daniel.«
    »Ja, so heißt du.« Das Sprechen fiel ihr schwer. Keine Tränen, nur eine trockene Taubheit, stärker als jeder Schmerz. »Ich komme jetzt zu dir.«
    Als sie die Tür aufmachte, prallten der dicke und der dünne Mann überrascht zurück, waren aber sofort abwehrbereit. Sie hob die Hände, um ihnen zu zeigen, daß sie leer waren.
    »Ich denke, es gibt etwas, das ihr euch anschauen solltet«, sagte sie und schritt dann ruhig an ihnen vorbei in den Salon. Die beiden glitschigen nackten Männer glotzten fassungslos hinter ihr her. Die Hände des Dicken zuckten in ihre Richtung, doch sie war schon fort. Sie wechselten einen Blick, dann folgten sie ihr durch den Salon auf die Veranda hinaus.
    »Gut, daß du endlich Vernunft annimmst«, begann der dünne Mann.
    »Herr Ramsey, könntest du deinen Agentenfreund bitten, ein Fenster in diesem Stockwerk zu öffnen?« fragte sie. »Ein großes Fenster, so daß ich von hier aus nach draußen gucken kann?«
    »A-aber Olga …!« stammelte er in ihrem Ohr.
    »Tu’s einfach, bitte.«
    »Was zum Teufel wird hier gespielt?« knurrte der Dicke. Er legte seine große, fleischige Pranke um ihr Handgelenk. »Was für ein Trick …?« Er brach verdutzt ab, als ein riesiger quadratischer Abschnitt des Daches in lange nicht mehr benutzten Schienen knirschend zurückglitt und der dunkle Abendhimmel erschien, der wirkliche Himmel mit seinen Sternen, die vom Lichterschein der Stadt darunter getrübt wurden. Alle Sterne bis auf einen, der am Horizont immer heller und heller wurde.
    »Olga …!«
    »Es ist gut, Herr Ramsey. Catur. Danke für alles. Ganz ehrlich. Aber ich gehe nirgends mehr hin.« Sie drehte sich um und lächelte den dicken Mann und seinen dünnen Kompagnon an. »So, meine Herren, das war’s. Eine kleine Weile haben wir noch, da könnt ihr euch ein bißchen verschnaufen.«
    Der Dicke wandte sich dem Dünnen zu. »Wovon redet sie eigentlich?«
    »Von meinem Sohn«, sagte Olga Pirofsky. »Wir warten auf meinen Sohn.«
     
     
    > Sellars hing schon so lange im eisigen Nichts, daß er sich kaum mehr erinnern konnte, wo er war oder wer er war, aber mit jeder Faser fühlte er die straff gespannte Leidenskette, eine vom Zerreißen bedrohte Leitung ins Herz der Leere. Die blinde Frau, der Buschmann, die beiden verängstigten Kinder – wieviel länger konnten sie alle noch durchhalten?
    Da spürte er es. In der Finsternis hatte etwas die Verbindung berührt. Wie ein Fischer, der entdeckt, daß er den Leviathan am Haken hat, machte Sellars sich auf den Wutausbruch gefaßt. Er setzte sich dem Betriebssystem jeder Abwehr entblößt aus, riskierte alles, um es nur ja nicht zu verschrecken. Selbst in seinen letzten Momenten konnte es ihn mühelos umbringen, wenn es wollte.
    Nein, nicht es, dachte er. Er.
    Als der Kontakt erfolgte, war er überraschend sanft.
    »Hab einen Namen.« In der unmenschlichen Stimme schwang ein neuer Ton. »Daniel.«
    »Aha«, sagte Sellars. »Daniel. Gott segne dich, Kind, das ist ein guter Name.« Er zögerte. Er durfte keine Zeit mehr verlieren, aber wenn er zu sehr drängte, konnte er die hochempfindliche Verbindung zerstören.
    Der Andere jedoch hatte seine eigenen Pläne. »Schnell. Mutter … meine Mutter … sie wartet.« Er nahm Sellars ein letztes Versprechen ab, dann übergab er ihm die Schlüssel zu dem Reich, das er sich gebaut hatte, aus sich selbst heraus, die Insel eines Verbannten im Ozean seiner eigenen Furcht und Einsamkeit.
    »Ich werde mein Bestes tun, sie alle zu retten«, versicherte Sellars.
    Ein leises Ächzen – Erlösung? Angst? »Alles erledigt. Alles erledigt.«
    »Lebwohl, Daniel.«
    Aber das große, kalte Etwas war schon fort.
     
     
    > Dread barst förmlich vor

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