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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Pension auf dem Fußboden geschlafen.« Trotz ihrer Traurigkeit brach ein kleines Lächeln durch. »Die Vermieterin wollte uns nicht in seinem Zimmer übernachten lassen, weil wir nicht verheiratet sind.«
    »Und?«
    »Und natürlich wirst du bei uns wohnen«, sagte sie, obwohl es sie ärgerte und betrübte, das aussprechen zu müssen. »Ich laß dich doch nicht auf der Straße sitzen. Wir sind eine Familie.« Sie warf einen Blick auf die Zeitanzeige in der Ecke des abgedunkelten Wandbildschirms. »Ich muß los.« Sie stand auf, da fiel ihr die Tüte ein, die sie immer noch in der Hand hielt. »Ach ja, ich hab dir was mitgebracht.«
    Er lehnte die Tüte an seine Rippen, um sie mit der unverletzten Hand zu öffnen. Er zog die Flasche heraus und guckte sie lange an.
    »Ich weiß, es ist nicht deine alte Lieblingsmarke«, sagte sie, »aber im Laden meinten sie, die wäre gut. Ich dachte mir, du hättest vielleicht gerne ’nen anständigen Tropfen – zum Feiern und so.« Sie schaute sich um. »Ich glaube nicht, daß sowas hier drin erlaubt ist. Vielleicht versteckst du die Flasche besser.«
    Er starrte die Flasche immer noch an. Als er zu ihr aufsah, befremdete sie sein Gesichtsausdruck. »Danke«, sagte er. »Aber weißt du was, ich glaub, ich werd sie hier drin nich trinken. Vielleicht, wenn ich rauskomm.« Er lächelte, und wieder fiel ihr auf, wie alt er aussah, knochig und irgendwie … abgescheuert. Wie Steine in einem windigen Tal. »Wenn ihr die neue Wohnung habt. Dann feiern wir ein bißchen.« Er gab ihr die Tüte zurück.
    »Du … du willst sie nicht?«
    »Wenn ich rauskomm«, sagte er. »Schließlich will ich hier keine Scherereien kriegen, nich? Sonst behalten sie mich noch länger da.«
    Sie brauchte eine Weile, um die Flasche in die schmale Tüte zurückzubugsieren. Als sie es endlich geschafft hatte, wäre sie am liebsten schnurstracks zur Tür hinausgegangen, um schwierige Gefühlsverwicklungen zu vermeiden und sich nicht davon lähmen zu lassen. Erst als sie aufschaute und seinen Blick sah, wurde ihr klar, was sie eigentlich tun wollte.
    Sie beugte sich hinunter und gab ihm noch einen Kuß auf die Backe, dann schlang sie die Arme um seinen Hals und drückte ihn fest. »Morgen komm ich wieder, Papa. Versprochen.«
    Er räusperte sich, als sie sich aufrichtete. »Laß es uns besser machen miteinander. Du weißt doch, daß ich dich lieb hab, Mädel. Das weißt du, nicht wahr?«
    Sie nickte. »Das weiß ich.« Das Reden fiel ihr schwer. »Wir werden’s besser machen.«
     
    !Xabbu war nicht im Wartezimmer der Kinderstation. Renie war ein wenig erstaunt – er kam sonst nie zu spät –, aber sie hatte den Kopf zu voll, um lange darüber nachzudenken. Sie hinterließ ihm eine Nachricht an der Anmeldung und begab sich geradewegs zu Stephen.
    !Xabbu saß schlafend auf einem Stuhl am Fuß des Krankenhausbettes, den Kopf im Nacken, die Hände offen im Schoß, als ob er ein fliegendes Wesen gehalten und dann freigelassen hätte. Sie schämte sich. Wenn sie schon müde und abgespannt war, wieviel mehr mußte er das sein nach diesen höllischen letzten Minuten, in denen er die Kommunikationsverbindung zum Andern offengehalten hatte? Und jetzt will ich ihn mitschleifen, nach irgendeiner miesen, kleinen Wohnung suchen. Ihr krampfte sich das Herz zusammen.
    Aber es wird unsere miese, kleine Wohnung sein, sagte sie sich. Das ist doch immerhin etwas, oder?
    Sie streichelte sanft seinen Kopf, als sie an ihm vorbei an das Bett ihres Bruders trat. Stephens kleine Arme waren immer noch in der gebetsähnlichen Mantishaltung an die Brust gezogen, der Körper entsetzlich knochig unter der dünnen Klinikdecke, die Augen …
    Die Augen waren offen.
    »Stephen?« Es kam beinahe als Schrei heraus. »Stephen!«
    Er bewegte sich nicht, aber sie hatte den Eindruck, daß seine Augen ihr folgten, als sie sich heranbeugte. Sie nahm seinen Kopf in die Hände, ganz sacht und behutsam, weil er so zerbrechlich wirkte. »Kannst du mich hören? Stephen, ich bin’s, Renie!« Und die ganze Zeit über sagte eine Stimme in ihrem Hinterkopf: Es hat nichts zu bedeuten, das kommt gelegentlich vor, ihre Augen gehen einfach auf, er ist gar nicht richtig hier …
    !Xabbu war von ihrem erregten Reden wach geworden. Er setzte sich gerade hin, schien aber immer noch halb zu schlafen. »Ich hatte einen Traum«, murmelte er. »Ich war der Honiganzeiger … der kleine Vogel. Und ich führte …« Plötzlich gingen seine Augen ganz auf. »Renie? Was ist

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