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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hatte sie einen gewissenlosen Menschen gereizt und ihn sich zum persönlichen Feind gemacht.
    Das Zerwürfnis mit Jongleur wäre vermutlich schlimmer gewesen, wenn nicht der Berg nach wie vor ihrer aller Aufmerksamkeit voll beansprucht hätte. Der Weg verschmälerte sich langsam, aber unübersehbar, und alle hatten mit der Mutlosigkeit zu kämpfen. Fast die halbe Zeit über mußten sie sich jetzt seitlich fortbewegen, mit dem Rücken an der steinernen Wand, den furchtbaren Absturz in den unheimlichen silberigen Nebel drohend vor Augen. Selbst in Jongleur schienen schließlich pragmatische Erwägungen die Oberhand zu gewinnen, denn er ließ sich zurückfallen, bis er nur noch eine Armlänge vor !Xabbu ging, aber sie kamen viele Stunden lang an keine Stelle, die für einen gefahrlosen Wechsel an der Spitze breit genug gewesen wäre.
    Irgendwann kam doch eine, und danach ging !Xabbu lange Zeit vorn. Er nahm mit dem Tempo Rücksicht auf Renie und die anderen, doch selbst den Buschmann verließen sichtlich die Kräfte. Mehrmals wäre aus Müdigkeit beinahe ein Unglück passiert, aber noch schlimmer war, daß sie offensichtlich den Punkt fast erreicht hatten, wo der Pfad endgültig ungangbar wurde. Bestimmt, dachte Renie, würde es nur noch einen Tag dauern, oder die entsprechende Spanne an diesem zeitlosen Ort, bis sie sich mit den Gesichtern an die Bergwand gepreßt auf Zehenspitzen vorwärts schoben.
    Sie irrte sich. Es dauerte nicht annähernd so lange.
    Sie kamen noch einmal an eine etwas breitere Stelle, wo sie sich kurz im Stehen ausruhen und abermals die Reihenfolge ändern konnten. Renie begab sich nach vorn, und !Xabbu wartete, bis alle außer Ricardo Klement an ihm vorbei waren, so daß der kleine Mann nun hinter Jongleur und dieser wiederum hinter Sam ging. Renie meinte fast zu spüren, wie sich der finstere Blick des Gralsherrn in ihren Hinterkopf brannte, aber sie durfte mit solchen Hirngespinsten keine Energie verschwenden: Der verbleibende Pfad war so schmal, daß sie kaum noch beide Füße nebeneinander setzen konnte, und sie mußte sich ständig nach innen lehnen, um das Gleichgewicht zu halten.
    Wieder vergingen Stunden. Renie war zum Umfallen müde, ihr Rücken war verspannt von der krampfhaft schiefen Haltung, und Augen und Füße schmerzten ihr dermaßen, daß der Gedanke eines Fehltritts ins Leere beinahe verlockend war. Zu allem Überfluß schien das glitzernde Nebelmeer überhaupt nicht näherzukommen, aber daran mochte Renie gar nicht denken – die unmittelbare Situation war qualvoll genug. Sie war schon mehrmals gestolpert, und einmal war sie nach vorn geschossen und wäre mit Sicherheit in ihr Verderben gestürzt, wenn Sam sie nicht gerade noch am Stoff ihres notdürftigen Fähnchens erwischt hätte. Doch ein Platz für einen erneuten Führungswechsel hätte auch nichts geholfen, denn Sam war bestimmt nicht weniger müde als sie. !Xabbu hätte sich natürlich bei Bedarf sofort wieder an die Spitze gesetzt, daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel, aber sie wollte auch nicht, daß er das Risiko auf sich nahm. Im Grunde genommen sollte niemand mehr an der Spitze gehen. Sie mußten dringend irgendwo haltmachen und sich hinlegen. Ein weiterer Positionswechsel im Stehen würde eine kleine Verschnaufpause bedeuten, aber mit einer Verschnaufpause war es längst nicht mehr getan: sie mußten schlafen. Und wenn sie an den lauwarmen Stein gelehnt zu schlafen versuchten, forderten sie damit nur das Unglück heraus.
    Sie wußte, daß es keinen Sinn hatte, sich darüber zu beraten. Sie blieb stehen, bückte sich vorsichtig und knetete ihre Wade, um einen Krampf zu lösen. Der Muskel fühlte sich an, als ob jemand einen Dolch hineingestoßen hätte. Sie hätte am liebsten geschrien, aber ihre Ruhe und Beherrschung war viel zu dünn und brüchig, als daß sie sich derart gehenlassen durfte. Alles war jetzt ein Balanceakt auf Messers Schneide.
    »Wir müssen kurz anhalten«, sagte sie. »Ich hab einen Krampf. Ich brauche einen Moment.«
    »Wenn wir anhalten, bekommen wir alle einen Krampf«, bäffte Jongleur von hinten. »Dann stürzt einer nach dem andern ab. Wir müssen weitergehen oder sterben. Wenn du fällst, fällst du eben.«
    Sie verkniff sich eine scharfe Erwiderung. Er hatte recht. Wenn sie noch länger stehenblieb, kam sie nie wieder in Gang. Mit schmerzverzerrtem Gesicht belastete sie ihre verspannte, stechende Wade und machte einen vorsichtigen Schritt. Es ging, obwohl sich der Muskel so hart

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