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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hatte, setzte ihre zermarterten Füße noch ein klein wenig näher an den Buckel. Einen Moment lang meinte sie, sie hätte sich zu weit vorgebeugt, und nur die Steifheit ihrer Glieder bewahrte sie davor, einen verhängnisvollen Griff nach einem besseren Halt zu tun. Sie schmiegte sich eng an den schwarzen Fels, schob ihren linken Arm so weit herum, wie sie konnte, außer Sichtweite …
    … Und eine Hand griff zu. Trotz !Xabbus Warnung war die Überraschung so groß, daß sie beinahe wieder den Halt verloren hätte, aber die Finger um ihr Handgelenk waren stark und ruhig. Sie setzte den Fuß nochmals weiter, so daß sie sich jetzt vor der steinernen Wölbung über ihr ein wenig zurücklehnen mußte, und fühlte plötzlich, wie sich ihr Schwerpunkt nach hinten verlagerte, wie sie ins Nichts abkippte. Sie konnte gerade noch Atem holen für den letzten Schrei, da wurde ihr Arm mit jäher Gewalt gezogen, und sie schrammte am Fels entlang. Ihr rechter Fuß rutschte von der Trittfläche ab, aber ihr übriger Körper schoß vorwärts, wirbelte um den Drehpunkt ihres anderen Fußes herum, und !Xabbu war da, hielt Gott sei Dank unbeirrt weiter fest und warf sich gleichzeitig nach hinten in eine breite Spalte in der Bergwand, so daß sie auf ihn stürzte. Er wand sich rasch unter ihr hervor, und gleich darauf hörte Renie, wie er sich behutsam an den Rand der Ausbuchtung zurückschob und zu Sam hinüberrief, aber sie selbst konnte nur noch bäuchlings daliegen, sich so fest an den Boden pressen wie vorher gegen die Wand und mit dem Gesicht den herrlichen waagerechten Stein spüren.
    Sie bekam nur undeutlich mit, wie !Xabbu die anderen sicher herumholte. Sam warf sich keuchend neben sie, wimmernd über den Krampf in ihren Fingern und Zehen. Jongleur folgte etwas gefaßter und sank wortlos zu Boden. Als der Adrenalinschub abklang und der Herzschlag sich langsam normalisierte, merkte Renie plötzlich, daß !Xabbu noch einmal zurückgegangen war und jetzt sein Leben aufs Spiel setzte, um dem schwachsinnigen Ricardo Klement hinüberzuhelfen. Trotz ihrer protestierenden Muskeln kniete sie sich mühsam auf und kroch an den Rand. !Xabbu beugte sich so weit nach außen, daß ihr Herz wieder zu hämmern begann, und redete leise und sanft auf jemanden ein, den sie nicht sehen konnte, einen schlanken Arm um den Vorsprung gestreckt.
    »Ich bin hinter dir, !Xabbu .« Ihre Stimme war ein dürres Krächzen. »Soll ich deine Hand festhalten?«
    »Nein, Renie.« Der Fels, gegen den er sprach, dämpfte seine Stimme. »Ich brauche sie, um das Gleichgewicht zu halten. Aber wenn du mein Bein fassen könntest, wäre ich dankbar. Laß sofort los, wenn ich es sage.«
    Als ihre Finger sich um seine Fessel legten, lehnte er sich noch weiter nach außen. Renie konnte nicht hinsehen, sie mußte die Augen schließen. Trotz der Tiefenlosigkeit des Himmels schwindelte ihr.
    Zum Glück ist T4b nicht hier, dachte sie. Mit ihm wäre die Katastrophe perfekt.
    Als !Xabbus Muskeln sich unter ihren Fingern anspannten und er an seinem schwachen Fingernagelhalt über dem Abgrund hing, meinte sie einen Moment lang, die Brust werde ihr zerspringen. Dann tauchte der nackte Körper von Klement hinter der Felsecke auf, und !Xabbu duckte sich, tat einen Ruck nach hinten und fiel zusammen mit Klement auf Renie drauf.
    Eine Weile blieben sie alle keuchend liegen. Schließlich raffte Renie sich auf, !Xabbu vom Abgrund wegzuziehen, weiter in die Vertiefung in der Flanke des Berges hinein. Bis zur hinteren Wand, an der Sam lag, als ob sie hineinkriechen wollte, waren es knapp drei Meter, aber nach dem dünnen Gehstreifen vorher kam ihr der Platz jetzt geradezu fürstlich vor.
    Renie schlief sofort ein, ein kurzes Abtauchen unter die Oberfläche des Bewußtseins. Als sie aufwachte, krabbelte sie zu !Xabbu hinüber, der an dem schwarzen Gestein lehnte, und legte ihren Kopf an seine Brust, schmiegte sich zurecht, bis sie in der Mulde unter seinem Kinn eine bequeme Stelle gefunden hatte. Der Schlag seines Herzens war beruhigend, und sie fühlte, daß sie ihn nie wieder loslassen wollte.
    »Wir sitzen in der Patsche«, flüsterte sie.
    Er sagte nichts, aber sie spürte sein Lauschen.
    »Wir können diesen Weg nicht weitergehen. Es ist nichts mehr davon übrig.«
    Er holte Atem, und sie rechnete mit seinem Widerspruch, doch dann merkte sie, wie sein Kopf langsam nickte, wie die Kurve von Kehle und Kinn sich über die Wölbung ihres Schädels legte gleich einer zärtlichen Hand. »Ich

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