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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nicht getan hätte. Sie waren jetzt alle Gejagte. Dennoch konnte sie den Reflex nicht ganz unterdrücken. »Sam?« flüsterte sie.
    Die Gestalt schob sich langsam vor, schälte sich aus dem Nichts heraus wie eine Geistererscheinung. Sie war auf einen Anblick gefaßt, der so widernatürlich war wie die Umgebung. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, welche Gesellschaft sie da in der silbernen Leere bekommen hatte.
    »Ich bin … Ricardo«, sagte der ausdruckslos glotzende Mann. »Klement«, fügte er mit leichter Verzögerung hinzu.

Kapitel
Am Ende
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Kirche will »Dämon« nicht exorzieren
    (Bild: Kind im La Paloma Hospital)
    Off-Stimme: Die Erzdiözese Los Angeles hat den Antrag einer Gruppe von knapp drei Dutzend mexikanisch-amerikanischen Eltern abgelehnt, einen Exorzismus an ihren Kindern vorzunehmen. Anlaß ist deren Behauptung, identische Albträume von einer dunklen Geistergestalt zu haben, einem schwarzen Mann, den sie »El Cucuy« nennen. Drei der betroffenen Kinder haben bereits Selbstmord verübt, und etliche andere befinden sich wegen schwerer psychischer Störungen in ärztlicher Behandlung. Sozialhelfer jedoch sehen darin nicht das Wirken eines Dämons, sondern die gesundheitlichen Folgen von zuviel Zeit im Netz.
    (Bild: Cassie Montgomery, Sozialdienst von LA County)
    Montgomery: »Wir haben die genaue Ursache noch nicht ermittelt, aber ich glauben es ist kein Zufall, daß die meisten dieser jungen Leute Schlüsselkinder sind und extrem viel am Netz hängen. Mit ziemlicher Sicherheit sind diese schlechten Träume durch irgendwas ausgelöst worden, das sie online gesehen oder erlebt haben. Das übrige Getue verbuche ich unter stinknormale Hysterie.«
     
     
    > »Noch wichtiger«, sagte die Tourleiterin, wobei sie wieder ihr professionelles Lächeln anstellte und durch die dicken Gläser ihrer goggleartigen Sonnenbrille strahlte, »ist die Tatsache, daß wir hier inzwischen gesunde Populationen vieler bedrohter Vogelarten haben, die sich von selbst weitervermehren – Teichhühner, Rosalöffler, Dreifarbenreiher und die wunderschönen Schmuckreiher, um nur ein paar zu nennen. Und jetzt wird Charleroi uns in den tiefen Sumpf hineinfahren. Vielleicht bekommen wir ja Hirsche zu sehen oder sogar einen Rotluchs!« Sie machte ihre Arbeit gut: Man merkte ihr an, daß sie diesen Spruch auf jeder Fahrt mit dem gleichen Elan vortrug, tagaus, tagein.
    Zusätzlich zu der Tourleiterin und dem jungen Mann am Steuer, auf dessen braungebrannten Armen sich die Schlangenlinien abgestellter Leuchtröhrchen, sogenannter Subs, unter der Haut abzeichneten und dessen Gesichtsausdruck darauf hindeutete, daß auch im Schädel ein notwendiges Lichtlein nicht angeknipst worden war, waren an diesem ruhigen Morgen unter der Woche nur sechs Passagiere an Bord: ein rotgesichtiges englisches Ehepaar und sein kleiner lauter Sohn, der mit einem Leuchtstab aus dem Andenkenladen auf die Entengrütze eindrosch, ein junges Akademikerpaar irgendwo aus dem Landesinnern und Olga Pirofsky.
    »Bitte nicht die Hände ins Wasser halten!« Die Führerin behielt ihr Lächeln bei, obwohl ihre Stimme deutlich an Fröhlichkeit verlor. »Vergeßt nicht, daß dies kein Vergnügungspark ist. Unsere Alligatoren sind keine Attrappen.«
    Alle außer Olga lachten pflichtschuldigst, aber der Junge hörte trotzdem nicht auf, das Wasser zu schlagen, bis sein Vater sagte: »Laß das, Gareth!« und ihm einen Klaps auf den Hinterkopf gab.
    Merkwürdig, dachte Olga, sehr merkwürdig. So viele Jahre und Meilen habe ich hinter mir, und jetzt bin ich auf einmal hier. Eine Zypresseninsel tauchte vor ihnen in dem rasch abziehenden Morgennebel auf, grau und schemenhaft. Hier am Ende.
    Drei Tage waren vergangen, seit sie am Ziel der Reise angekommen war oder vielleicht seit die Reise ihr Ziel verloren hatte. Alles stagnierte, hatte sowenig Sinn und Zweck wie das leise kleine Touristenboot auf seiner vorprogrammierten Route durch den künstlich wiederhergestellten Sumpf. Da sie die stillen Nächte schlaflos durchwachte und erst gegen Morgen, wenn das Frühlicht auf die Jalousien ihres Motelzimmerfensters fiel in eine Art Ohnmacht sank, war es kein Wunder, daß Olga kaum die Energie aufbrachte, zu essen und zu trinken, von etwas Anstrengenderem ganz zu schweigen. Sie wußte nicht einmal mehr, aus welchem Impuls heraus sie sich ein Ticket für die Rundfahrt gekauft hatte, und bis jetzt war das Ganze auf jeden Fall die paar Stunden Schlaf nicht wert,

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