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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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um Klarheit bemühen, auch wenn mir die Zeit noch so sehr davonläuft. Vielleicht bin ich jetzt in einem ähnlichen Zustand wie Renie immer, rastlos weitergetrieben, vorwärts …
    Ich denke, an dem Punkt, als die Geißelspinne uns angriff, hatte ich die Ereignisse in Troja und auf dem schwarzen Berg zum größten Teil schon erzählt. Jetzt will ich versuchen, halbwegs zusammenhängend darzustellen, wie wir von dem Berg weggekommen sind und was seitdem geschehen ist. Es besteht zwar kaum Hoffnung, daß ich diese in den Äther des Netzwerks geworfenen subvokalen Protokolle jemals wiederfinden werde, aber ich habe mein Leben von jeher mit solchen Journalen geordnet, wenn auch meistens etwas herkömmlicher geführt, und es ist eine Krücke, auf die ich nicht verzichten möchte.
    Das ist doch schon ein Gedanke, nicht wahr? Mein ganzes Leben lang habe ich Trost und inneres Gleichgewicht darin gefunden, Selbstgespräche mit Apparaten zu führen. Psychologisch durchsichtig, würde ich vermuten, und ziemlich makaber.
    Genug.
    Ganz am Schluß auf dem Gipfel des schwarzen Berges, als die gesamte Realitätsvorspiegelung um uns herum in Stücke zerbrach, wurde ich von heftigen Bildern und Gefühlen überschwemmt, die von mir Besitz ergriffen wie eine dämonische Macht. Jetzt, wo ich mit Florimel und den anderen darüber gesprochen habe, vermute ich, daß meine veränderten Sinne wahrnahmen, wie der Andere Dreads Angriff erlebte – für mich war es ein einziger Tumult von Vogelgestalten und Schatten und schreienden Kinderstimmen, dazu Wellen von Schmerz und Grauen, für die es keine Worte gibt. Ob der Andere nun das einsame Phantom ist oder nicht, dem ich als Kind in der kontrollierten Dunkelheit des Pestalozzi-Instituts begegnet bin, und einerlei, was er mit dem alten Häcker Singh oder sonst jemandem gemacht hat, ich habe Mitleid mit ihm, ja, Mitleid, selbst wenn er nur irgendein hochgezüchtetes Konstrukt ist. Ich kann mir fast nichts Erbarmungswürdigeres vorstellen, als ihn dieses schlichte Kinderlied singen zu hören, das, glaube ich, aus einem alten Märchen stammt. Aber ob er nun gut oder schlecht ist oder jenseits solcher Kategorien, seine Qualen hätten mich beinahe umgebracht.
    Während der Andere sich mit aller Kraft gegen Dreads Attacke zu schützen suchte, spielten sich um mich herum Dinge ab, die ich mir nach den Schilderungen der anderen rekonstruieren mußte. Daß T4b ein Mitglied der Gralsbruderschaft bezwingen konnte – einen amerikanischen General namens Yacoubian, wie es scheint, den ursprünglichen Besitzer unseres Zugangsgerätes –, wird noch genauerer Überlegung bedürfen, denn durch den unerklärlichen Unfall, den unser junger Freund mit seiner Hand hatte, als wir vor der Hauswelt in diesem unfertigen Flickenland waren, konnte er … ich weiß nicht was. Yacoubians Kontrolle über das virtuelle Environment stören? Die Algorithmen ausschalten, die bis vor kurzem sämtliche Mitglieder der Bruderschaft schützten?
    Wie dem auch sei, kurz darauf fiel die Riesenhand des Andern herab und löschte allem Anschein nach Renie, !Xabbu , Orlando und Sam aus, vielleicht auch Jongleur, den Gralsboß mit dem Osirissim. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das glauben soll, und Florimel auch nicht. Die Vorstellung widerstrebt mir, eine Manifestation des Betriebssystem könnte so brachial sein, daß sie unsere Gefährten wie Fliegen zerklatscht.
    Na ja, jedenfalls faßte Florimel mich unter, und gemeinsam eilten wir zu T4b hin, der von dem Monster weggeschleudert worden war und ohnmächtig wenige Meter von der Kante der gigantischen Hand entfernt lag. Dann war die Hand plötzlich weg, und gleichzeitig fühlte ich, wie der Andere mir entschwand und in meinem Kopf ein unbeschreibliches Vakuum hinterließ. Von unseren Freunden war nichts mehr zu sehen, nur der Körper des falkenköpfigen Yacoubian. Florimel, die sich viel besser im Griff hatte als ich, erblickte etwas in Yacoubians überdimensionalen Fingern. Es war ein anderes Feuerzeug, identisch mit dem, das Renie mit in den Tod oder sonstwohin genommen hatte - Yacoubian hatte also sein verlorenes Original ersetzt. Florimel bückte sich und nahm es an sich, und im selben Moment zerfiel die Welt erneut.
    Der Andere war fort. Ich fühlte die Gegenwart von Pauls Engel Ava, die in tausend Splitter zerstreut war, jeder einzelne eine klagende Stimme und gemeinsam ein Leidenschor, dessen Qualen fast so furchtbar gewesen sein müssen wie die des Andern. Die Wirklichkeit

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