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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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die Sellars gerade erzählt hatte, einem Sammelsurium von wilden Phantastereien, für die sich selbst die hysterischsten Chatknoten zu fein gewesen wären. Er mußte ein Weilchen vor die Tür, um sich den Kopf auszulüften.
    »Ich geh mir eine Limo holen«, verkündete er. »Soll ich jemandem was mitbringen?«
    Kaylene Sorensen schüttelte müde den Kopf, aber das kurz aufflackernde Mißtrauen im Gesicht ihres Mannes entging Ramsey nicht. Es tat weh. »Menschenskind, Sorensen, wenn ich ausbüchsen oder euch verraten wollte oder sonstwas, meinst du nicht, ich würde damit in aller Ruhe abwarten, bis ich wieder in mein eigenes Motel zurückkehre?«
    Es sprach für Sorensen, daß er ein beschämtes Gesicht machte. »Ich wollte nicht so gucken. Ich bin bloß … Es war ein schwieriger Tag heute.«
    Ramsey zwang sich zu lächeln. »Kann man wohl sagen. Bin gleich wieder da.«
     
    Er stockte, als er gerade seine Karte durch den Leseschlitz des Getränkeautomaten ziehen wollte.
    Sorensen mit seiner Paranoia hat vielleicht mehr Verstand als du, sagte er sich. Das war ein richtiger Brigadegeneral, der uns da aus einem öffentlichen Restaurant gekidnappt hat. Diese Sache mag sein, was sie will, sie ist jedenfalls nicht nur das Produkt einer überhitzten Phantasie. Er fand ein paar Münzen in seiner Tasche und dachte sogar kurz daran, seine Fingerabdrücke davon abzuwischen, bevor er sie in den Schlitz steckte.
    Sellars’ Geschichte war ohne Frage ein Ding der Unmöglichkeit, ob Sorensen und seine Frau sie nun glaubten oder nicht. Ramsey war zwar skeptisch gewesen, aber er hatte sich durchaus bemüht, vorurteilslos den Gedanken zuzulassen, das Tandagoresyndrom könnte vorsätzlich herbeigeführt worden sein. Er hatte sogar die Hypothese in Erwägung gezogen, es könnte tatsächlich einen Zusammenhang geben zwischen Orlando Gardiners Zustand und den Angaben, die der Softwareagent des Jungen über eine Art Netzwerk machte, in dem Orlando bei vollem Bewußtsein gefangen sei. Kurzum, er war bereit gewesen, an höchst verdächtige Umstände, sogar an ein Komplott mächtiger Persönlichkeiten zu glauben. Aber das? Das war etwas aus einem Fiebertraum: ein Projekt, mit dem einige der reichsten Männer und Frauen der Erde angeblich ernsthaft vorhatten, Götter zu werden. Es war schlicht nicht vorstellbar, daß so etwas existieren und obendrein auch noch jahrelang geheimbleiben konnte, zumal wenn es die Verkrüppelung unschuldiger Kinder zur Folge hatte. Das Ganze glich einer billigen Räuberpistole, einem grotesk überzeichneten Netzthriller. Es konnte einfach nicht sein.
    Wenn er mit alledem frisch konfrontiert worden wäre, hätte Catur Ramsey sich nach zehn Minuten höflich bei allen bedankt, daß sie sich die Zeit genommen hatten, und wäre nach Hause gefahren; seine Meinung über den Geisteszustand der Leute hätte er für sich behalten. Aber er lebte jetzt schon seit Wochen mit der skurrilen Online-Welt des Orlando Gardiner und betrachtete einen Softwareagenten in Gestalt eines Cartoonkäfers als zuverlässige Informationsquelle. Bevor sie ihr Haus dichtgemacht hatte und verschwunden war, hatte eine Frau, die nach eigenen Angaben eine Zeit in einer Nervenheilanstalt verbracht hatte, ihm erzählt, daß eine der erfolgreichsten Kinderunterhaltungsfirmen der Welt an einem abscheulichen Experiment mit ihrer kindlichen Zielgruppe beteiligt war, und er hatte überlegt, ob sie vielleicht recht haben könnte. Er war durchaus nicht borniert – hatte sein erstes Treffen mit Sellars nicht in den dunklen Gassen einer VR-Spielwelt stattgefunden? Wo er, der respektable Rechtsanwalt Decatur Ramsey, sich in der Maske eines barbarischen Schwertkämpfers herumgetrieben hatte? Er mußte zugeben, daß Sellars ihm Sachen über Orlando Gardiner und Salome Fredericks mitgeteilt hatte, die selbst er mit seinem unbeschränkten Kontakt zu beiden Familien zu dem Zeitpunkt noch nicht herausgefunden hatte.
    Er trank einen Schluck und beobachtete den vorbeirauschenden Verkehr.
    Sellars verlangte von ihm, daß er eine Geschichte glaubte, gegen die selbst die böswilligsten Diffamierungen von Freimaurern und Rosenkreuzern völlig harmlos waren. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, was hatte Major Sorensen über Sellars gesagt? Daß er eigentlich gar kein Mensch war?
    Einen Moment lang erwog er wirklich, in sein Auto zu steigen und nach Hause zu fahren. Er würde Jaleel und Enrica Fredericks mitteilen, er habe keine Erklärung für das Koma ihrer

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