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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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umzukehren.
    Ich werde euch nicht mit allen Einzelheiten langweilen. Meine Wächter auf dem Stützpunkt merkten irgendwann, was ich da trieb – ich war so begeistert von meiner neugewonnenen Freiheit, daß ich es an der nötigen Vorsicht mangeln ließ. Sie kamen mit vier MPs, um mich zur Raison zu bringen, mich mit meinen knapp fünfzig Kilo! Sie rissen den Wandbildschirm heraus. Ärzte nähten mich wieder zu. Seht, hier ist die Narbe. Sie versahen meine Datei mit einem dicken, blinkenden Marker, der besagte, ich dürfe nie wieder etwas in die Hand bekommen, das mir irgendeine Verbindung nach außen ermöglichte, und jahrzehntelang mußte ich in unregelmäßigen Abständen Kontrolluntersuchungen über mich ergehen lassen.
    Was sie aber nicht wußten, war, daß es bereits zu spät war. In den ersten Stunden meiner heißersehnten Freiheit lud ich Unmengen von Spezialgear auf meine inneren Systeme herunter, darunter auch eine sehr praktische kleine Schwarzmarktnummer, über die ich Fernverbindungen zu nahen Netzwerken herstellen konnte, indem ich meine metallisierten Knochen als Antenne benutzte. Lange bevor die Telematikbuchse ein schickes Accessoire der flotten Neureichen wurde, hatte ich meine eigene unsichtbar in mir verborgen.
    Seit damals habe ich kontinuierliche Upgrades an mir vorgenommen, ganz ohne Wissen meiner Bewacher. Nicht alles ließ sich allein durch Software machen, aber für einen Mann, der sich überall hinbegeben und mit aller Welt in Kontakt treten kann, gibt es nicht viele Hindernisse. In einem Anfall von unbedachter Ehrlichkeit hatte das Militär meine Pension für etwaige Erben auf die Seite gelegt. Ich ließ das Geld mit einem kleinen Zahlentrick verschwinden, dann transferierte ich es in andere Bereiche und fing an, es zu vermehren – legal, immer völlig legal. Ich weiß nicht, warum mir das wichtig ist, aber es ist so. Ich habe noch nie etwas gestohlen. Na ja, außer Informationen. Ich bin bei weitem nicht der reichste Mann der Welt, aber ich habe mittlerweile ein erkleckliches Sümmchen beisammen, und lange habe ich es ausschließlich für Upgrades verwendet. Für meine Selbstoptimierung!« Sellars lachte plötzlich laut und mit echter Heiterkeit auf. »Ich bin ein optimales Spitzenprodukt! Erinnerst du dich noch an meine Fernschachkontakte per Post, Major Sorensen?«
    Der Angesprochene verengte die Augen. »Wir haben sie überprüft bis zum Gehtnichtmehr. Keine Codes. Keine Geheimschrift. Nichts.«
    »Oh, es war ein völlig reguläres Spiel, darauf haben wir geachtet. Aber man kann eine ziemliche Menge teurer Schwarzmarkt-Nanoautomatik in dem Punkt nach dem Wort ›Schach‹ unterbringen. Auf die Art konnte einer meiner Kontakte mir die letzten paar Sachen schicken, die ich noch brauchte, um mein System aufzurüsten und ohne ständige Wasserzufuhr zu überleben. Ich riß einen kleinen Papierschnipsel ab und aß ihn auf, und die winzigen Automaten machten sich an die Arbeit. Ohne diese Optimierung hätte ich es in dem Tunnel unter dem Stützpunkt keinen Tag ausgehalten.«
    »Du raffinierter Hund«, sagte Sorensen bewundernd. »Wir haben uns nach deinem Ausbruch den Kopf darüber zerbrochen, was du wohl anstellen würdest. Wir hatten sämtliche Apotheken und Drogerien in drei Staaten alarmiert.«
    »Aber warum?« fragte Ramsey. »Warum hast du mit deinem Ausbruch so lange gewartet? Schließlich warst du bestimmt dreißig Jahre dort inhaftiert, nicht wahr?«
    Sellars nickte. »Das hat einen sehr einfachen Grund. Nachdem ich mir unbeschränkten Zugang zum Netz verschafft und sämtliche Dateien über die Sache gelesen, sämtliche Akten durchforstet hatte, flaute mein Zorn ab. An mir war ein schreckliches Unrecht verübt worden – aber was bedeutete das letztlich schon? Jetzt verfügte ich über eine gewisse Freiheit, und was wollte ich mehr? Schau mich an, Herr Ramsey. Es war klar, daß ich niemals ein normales Leben würde führen können. Ich hegte weiterhin einen tiefen Groll, aber ich fing auch an, mich in meiner endlosen freien Zeit mit andern Dingen zu beschäftigen. Mit der Erforschung der rasch anwachsenden weltweiten Datensphäre – dem Netz. Mit diversen Zerstreuungen. Mit Experimenten.
    Und im Zuge eines solchen Experiments geschah es, daß ich erstmals auf die Spur der Gralsbruderschaft stieß …«
    »Halt mal kurz«, unterbrach Ramsey. »Was für Experimente?«
    Einen Moment lang zögerte Sellars, dann schien sich sein wächsernes Gesicht zu verschließen. »Ich möchte nicht

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