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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Ramsey war empört.
    »Anfangs nicht. Nein, nach dem ganzen Aufwand, den sie in mich gesteckt hatten, ganz buchstäblich, wollten sie eine andere Verwendung für mich finden. Aber mein Projekt existierte nicht mehr, ich selbst war verbrannt, verkrüppelt, meine eingebaute Schaltung stark beschädigt. Ich war für meinen vorgesehenen Zweck nicht mehr zu gebrauchen, und im Unterschied zu den anderen Überlebenden war ich auch ein unwiderlegliches lebendiges Zeugnis dafür, was dort geschehen war. Wenn ein einfacher Soldat gegen seine Schweigepflicht verstößt und Geheimnisse ausplaudert, kann man ihn als einen Spinner hinstellen, aber einen Mann mit den modernsten kybernetischen Implantaten im Wert von Millionen im Körper? Ja, irgendwann wurde ich eingesperrt, aber eigentlich, Herr Ramsey, kann ich noch dankbar sein. In einem andern Land oder zu einer andern Zeit wäre ich wohl auf eine etwas endgültigere Art zum Schweigen gebracht worden.«
    Ramsey wußte nicht, was er sagen sollte. In der eintretenden Stille setzte Michael Sorensen sich mit einem jähen Schnaufen auf und schaute in die Runde. Er war sich nicht bewußt, fast zehn Minuten geschlafen zu haben, und gab sich daher möglichst den Anschein, er hätte nur kurz die Augen zugemacht, um sich besser zu konzentrieren. Der Blick, mit dem Sellars ihn betrachtete, ehe er fortfuhr, war beinahe zärtlich.
    »Das ist alles lange her. Was damals geschah, ist für niemanden wichtig außer für mich. Aber was danach kam, ist von weitergehender Bedeutung. Nach den ersten paar Jahren in Krankenhäusern und Forschungszentren kam man zu dem Ergebnis, ich könne keinen sinnvollen Zweck mehr erfüllen, und so siedelten sie mich auf einen Stützpunkt um, und zwar auf den, wo du auf mich aufpassen durftest, Major Sorensen. Allerdings war das lange, bevor du deine militärische Laufbahn antratest. Wobei es eine der kleinen Ironien in dem ganzen Schlamassel ist, daß ich, der ich bei der Marine gedient hatte, im Zuge der Bereinigung von HARDCASE bei den Landstreitkräften inhaftiert wurde.
    Das einzige, was die Verantwortlichen von mir wollten, war Stillschweigen, und so lebte ich jahrelang in einer Umgebung, die aus einem früheren Jahrhundert hätte sein können – kein Fon, kein Fernsehen, keine elektronische Verbindung zur Außenwelt. Doch nach zehn Jahren hatte ich sie mit geschickt gespielter Geduld eingelullt. Man gestattete mir einen Wandbildschirm, da ein einseitiger, extrem langsamer Medienanschluß kaum große Scherereien machen konnte, wenn man dem Benutzer jede Eingabemöglichkeit verweigerte.
    Darauf hatte ich natürlich seit Jahren gewartet. Mir war so langweilig, und zu der Zeit war ich auch noch so wütend über das, was mir angetan worden war, daß die Sehnsucht nach Freiheit mich genauso beherrschte wie einen angeketteten Galeerensklaven. Die einzigen Betätigungsmöglichkeiten, die ich hatte, waren geistiger Art – ihr seht ja an meinen Beinen, meinen verkümmerten Armen die Wirkung von Keeners Brandgeschossen –, aber ich war Pilot, verdammt nochmal! In wenigen Minuten hatte ich alles verloren, mein Schiff, meine Gesundheit, meine Freiheit, doch diesen Trieb, diesen Drang hatte ich weiter in mir. Wenn man mir den Luftraum nahm, konnte ich immer noch durch den Informationsraum fliegen, wie meine PEREGRINE-Kameraden und ich es entdeckt hatten. Es war vielleicht ein bißchen was anderes, als durch die Straßen zu spazieren wie ein normaler Mensch, aber es stellte doch in einem sehr realen Sinne eine Flucht dar.
    Es stimmte, daß ich keinerlei Geräte für den Zugang ins Netz hatte. Keine sichtbaren jedenfalls. Doch meine Aufpasser machten sich keinen Begriff von meinen Fähigkeiten … und vor allem von der Unbändigkeit meines Fluchtwunsches. Es war kein größeres Problem, den Männern, die den Wandbildschirm installierten, ein Stück Faserkabel zu stehlen. Als sie fort waren, konnte ich fast genauso problemlos eine kleine, wenn auch ziemlich blutige Operation mit einem Vergrößerungsglas, einem Buttermesser, das ich rasiermesserscharf geschliffen hatte, und diversen anderen Geräten vornehmen, darunter ein altmodischer Lötkolben. Für alle außer mir wäre es ein gräßlicher Anblick gewesen, wie ich die Drähte direkt in einen langen Einschnitt in meinem Arm schob, doch ich schloß mich wieder an die alte Eingabesteuerung aus PEREGRINE-Tagen an und benutzte einige meiner implantierten Systeme dazu, per Maschinensprache den Downlink des Wandbildschirms

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