Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose (12 Reacher)
Kaffeemaschine abgespült wurde.
Gardner sagte: »Es gibt keine Möglichkeit, Berufung einzulegen.«
»Es muss eine geben«, widersprach Reacher. »Alles andere wäre nicht verfassungsgemäß. Der Fünfte und der Vierzehnte Verfassungszusatz garantieren jedem Bürger ein faires Verfahren. Das Mindeste wäre eine richterliche Überprüfung.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Hundertprozentig?«
»Sie wollen also wegen einer städtischen Verordnung gegen Landstreicherei bis vor ein Bundesgericht ziehen?«
»Mir wär’s lieber, wenn Sie zugeben würden, dass es sich um einen Irrtum handelt, und alle schriftlichen Unterlagen vernichteten.«
»Das war kein Irrtum. Sie sind laut Definition ein Landstreicher.«
»Ich möchte, dass Sie sich Ihre Entscheidung noch mal überlegen.«
»Warum?«
»Warum nicht?«
»Ich wüsste gern, weshalb es für Sie so wichtig ist, sich in unserer Stadt frei bewegen zu dürfen.«
»Und ich wüsste gern, weshalb es für Sie so wichtig ist, mich daraus zu vertreiben.«
»Was haben Sie davon? So großartig ist Despair auch wieder nicht.«
»Das ist eine Frage des Prinzips.«
Gardner schwieg. Wenig später kam seine Frau mit einem einzelnen Becher Kaffee herein. Sie stellte ihn vorsichtig auf den Couchtisch vor Reacher, machte einen Bogen um den Tisch und nahm auf dem Sofa Platz. Reacher griff nach dem Becher und nahm einen Schluck. Der Kaffee war heiß, stark und aromatisch, der Becher zylindrisch, verhältnismäßig hoch und aus feinem Knochenporzellan mit dünnem Oberrand.
»Ausgezeichnet«, sagte Reacher. »Vielen Dank. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.«
Mrs. Gardner zögerte einen Augenblick, dann sagte sie: »Oh, bitte schön.«
Reacher sagte: »Ihre Vorhänge gefallen mir auch sehr gut.«
Dazu äußerte Mrs. Gardner sich nicht. Der Richter sagte: »Ich kann wirklich nichts für Sie tun. Die Verordnung sieht keine Möglichkeit vor, Berufung einzulegen. Verklagen Sie die Stadt, wenn’s sein muss.«
Reacher entgegnete: »Sie haben gesagt, ich würde mit offenen Armen empfangen, wenn ich einen Job hätte.«
Der Richter nickte. »Weil das die Vermutung, Sie seien ein Landstreicher, widerlegen würde.«
»Da haben Sie’s.«
»Haben Sie denn einen Job?«
»Ich habe verschiedene in Aussicht. Das ist der zweite Punkt, über den ich mit Ihnen sprechen wollte. Es ist nicht gut, dass diese Stadt über keine funktionierende Polizei verfügt. Deshalb möchte ich, dass Sie mich als Deputy vereidigen.«
Danach herrschte sekundenlang Schweigen. Reacher zog den Zinnstern aus seiner Tasche und sagte: »Den Stern habe ich schon. Und ich habe reichlich einschlägige Erfahrung.«
»Sie sind verrückt!«
»Ich versuche nur, eine Lücke auszufüllen.«
»Sie sind völlig übergeschnappt.«
»Ich biete meine Dienste an.«
»Trinken Sie sofort Ihren Kaffee aus, und verlassen Sie mein Haus.«
»Der Kaffee ist heiß und gut. Ich kann ihn nicht einfach runterkippen.«
»Dann lassen Sie ihn stehen. Verschwinden Sie gefälligst – sofort!«
»Sie wollen mich also nicht vereidigen?«
Der Richter stand auf, blieb mit leicht gespreizten Beinen stehen und richtete sich zu seiner vollen Größe von ungefähr einem Meter vierundsiebzig auf. Er kniff die Augen zusammen, während sein Verstand die gegenwärtigen Gefahren gegen zukünftige Eventualitäten abwog. Damit war er eine Weile beschäftigt, bevor er dann sagte: »Eher würde ich die gesamte Einwohnerschaft zu Deputys machen. Sämtliche Männer, Frauen und Kinder von Despair. Wahrscheinlich tue ich das auch. Zweitausendsechshundert Menschen. Glauben Sie, dass Sie an all diesen Leuten vorbeikommen? Ich nämlich nicht. Wir wollen Sie hier nicht haben, Mister, und wir werden Sie loswerden. Darauf können Sie sich verlassen. Todsicher!«
32
Reacher holperte kurz vor 21.30 Uhr wieder über die Dehnungsfuge und hielt fünf Minuten später vor dem Schnellrestaurant. Er rechnete sich aus, dass Vaughan in dieser Nacht ein paarmal dort vorbeischauen würde. Ließ er ihren Chevy am Randstein geparkt stehen, würde sie ihn sehen und beruhigt sein, dass ihm nichts fehlte. Oder dass zumindest ihrem Pick-up nichts fehlte.
Als er hineinging, um die Schlüssel an der Kasse zu hinterlegen, sah er Lucy Anderson allein in einer der Sitznischen. Kurze Shorts, blaues Sweatshirt, winzige Socken, klobige Sneakers. Viel nacktes Bein. Sie starrte ins Leere und lächelte. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er sie als nicht besonders hübsch eingestuft. Aber jetzt
Weitere Kostenlose Bücher