Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose (12 Reacher)
dort hat man ein halbes Dutzend Möglichkeiten, einen Toten spurlos verschwinden zu lassen. Es gibt Schmelzöfen, in denen eine Leiche sekundenschnell verbrennt.«
Vaughan schwieg einen Augenblick, dann stand sie auf und goss sich aus einer Flasche im Kühlschrank ein Glas Mineralwasser ein. Sie lehnte sich mit der Hüfte an die Arbeitsfläche und starrte aus dem Fenster.
Wo ihr Kreuz ins Gesäß überging, zog ihr T-Shirt eine Querfalte. Das dünne Baumwollmaterial wirkte fast durchscheinend. Sie stand genau im Gegenlicht. Ihr inzwischen getrocknetes Haar umgab ihren Kopf wie ein Goldhelm.
Sie sah umwerfend aus.
»Was hat Maria noch erzählt?«, wollte sie wissen.
Reacher sagte: »Nichts. Ich habe sie nicht ausgefragt.«
»Aber wieso denn nicht?«
»Zwecklos. Von den Frauen und Freundinnen erfahren wir nichts. Und würden sie reden, würden sie versuchen, uns zu täuschen.«
»Wieso?«
»Weil sie aus eigenem Interesse handeln. Ihre Ehemänner und Freunde halten sich nicht aus eigenem Antrieb in Despair versteckt. Sie suchen dort Hilfe. Sie wollen eine Art U-Bahn für Flüchtlinge benutzen. Despair ist eine Zwischenstation auf ihrem Weg. Die Frauen wollen nichts preisgeben. Lucy Anderson hatte nichts gegen mich, bis ich erwähnt habe, dass ich früher ein Cop war. Da fing sie an, mich zu hassen. Sie glaubte, ich sei noch immer einer. Sie befürchtete, ich sei hinter ihrem Mann her.«
»Was für Flüchtlinge?«
»Das weiß ich nicht. Aber anscheinend war dieser Anderson der richtige Typ – und der arme Raphael Ramirez der falsche.«
Vaughan trat wieder an den Tisch, nahm Reachers Becher und schenkte ihm Kaffee aus der Maschine nach. Dann goss sie sich erneut Mineralwasser aus dem Kühlschrank ein, setzte sich und sagte: »Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«
»Gern.«
»Wieso tun Sie das?«
»Was tue ich?«
»Sie kümmern sich, denke ich. Sie kümmern sich darum, was in Despair geschieht. Schlimmes passiert dauernd und überall. Wieso liegt Ihnen gerade an dieser Sache so viel?«
»Ich bin neugierig, das ist alles.«
»Das ist keine Antwort.«
»Ich muss irgendwo sein, irgendwas tun.«
»Das ist noch immer keine Antwort.«
»Maria«, sagte Reacher. »Sie ist die Antwort. Ein reizendes Mädchen, das sichtlich leidet.«
»Ihr Freund ist wegen einer Straftat auf der Flucht. Das haben Sie selbst gesagt. Vielleicht hat sie’s verdient zu leiden. Vielleicht ist Ramirez Drogenhändler oder so was. Oder ein Gangster oder Mörder.«
»Und Bilder«, sagte Reacher. »Fotos. Auch die können ein Grund sein. Ramirez ist mir harmlos erschienen.«
»Das können Sie auf einem Foto beurteilen?«
»Manchmal. Würde Maria sich mit einem schlechten Kerl herumtreiben?«
»Ich kenne sie nicht.«
»Und Lucy Anderson?«
Vaughan schwieg.
»Und ich mag keine Firmenstädte«, fuhr Reacher fort. »Ich mag keine Feudalherrschaft. Ich mag keine fetten, selbstgefälligen Bosse, die Leute nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Und mir gefällt’s nicht, wenn eingeschüchterte Menschen sich das gefallen lassen.«
»Sie sehen etwas, das Ihnen nicht gefällt, und haben sofort das Bedürfnis, es zu zerstören?«
»Da haben Sie verdammt recht! Irgendein Problem damit?«
»Nein.«
Sie saßen in der Küche und tranken in geselligem Schweigen Kaffee und Wasser. Vaughans freie Hand lag mit gespreizten Fingern auf der Tischplatte. Dieser Teil von ihr war Reacher am nächsten. Er fragte sich, ob das eine bewusste oder unbewusste Geste war. Eine Annäherung oder ein Versuch, Verbindung zu ihm aufzunehmen.
Kein Ehering.
Er ist im Augenblick nicht da.
Auch Reacher legte seine freie Hand auf den Tisch.
Vaughan fragte: »Woher wissen wir, dass die Männer überhaupt Flüchtlinge sind? Vielleicht sind sie verdeckt arbeitende Umweltschützer, die Verschmutzung messen. Als Freiwillige. Vielleicht hat Anderson sie erfolgreicher getäuscht als Ramirez.«
»Wie getäuscht?«
»Das weiß ich nicht. Aber es macht mir Sorgen, wenn dort drüben Gifte verwendet werden. Unser Grundwasser steht mit ihrem in Verbindung.«
»Thurman hat von Trichlorethylen gesprochen. Damit wird Metall entfettet. Ich weiß nicht, ob das Zeug gefährlich ist oder nicht.«
»Ich werde mich mal sachkundig machen.«
»Weshalb sollte die Frau eines Umweltschützers Angst vor Cops haben?«
»Keine Ahnung.«
»Und dieser Anderson hat niemanden hinters Licht geführt. Er war als Gast dort. Er ist untergebracht, verhätschelt und beschützt worden. Ihm
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