Overkill - Bale, T: Overkill - Terror's Reach
Prickeln der Tränen, hervorgerufen von Staub und Rauch. Ein Kopf streifte den ihren, Haare kitzelten sie an der Stirn.
Und Joe war an ihrer Seite. Gott sei Dank. Jetzt wurde Angela bewusst, dass er ihr das Leben gerettet hatte, indem er sie nach unten aus der Schusslinie gezogen hatte, als sie die Gefahr noch gar nicht richtig erkannt hatte.
Gleichzeitig kam ihr eine noch viel tiefere Erkenntnis: All ihren gegenteiligen Schwüren zum Trotz musste sie feststellen, dass sie verzweifelt am Leben hing. Der Trieb war wie ein unstillbarer Durst, ein trockener, dumpfer Schmerz in ihrer Kehle.
Sie wollte leben.
Liam lag am Boden und hörte einen Mann neben sich stoßweise atmen. Jemand anderes stöhnte, und eine der weiblichen Gefangenen schluchzte leise. Das alles wurde übertönt von den Stimmen der Männer, die sie überfallen hatten. Sie brüllten immer noch Kommandos, und er hörte ihre schweren Schritte auf dem Beton, hörte sie näher kommen und wartete auf die Kugel, die allem ein Ende machen würde.
Aber sie kam nicht. Stattdessen packten grobe Hände seine Arme. Ein Poltern, als ihm die Waffe aus der Hand gerissen wurde. Benommen und verängstigt, wie er war, leistete er keinen Widerstand, als sie ihn hochzogen und auf die Füße stellten. Der Gürtel fiel von seiner Hüfte, als hätte jemand ihn durchgeschnitten, doch er hatte nichts davon bemerkt. Obwohl sie direkt neben ihm standen, waren die Angreifer immer noch vollkommen unsichtbar.
Die Arme wurden ihm hinter den Rücken gedreht, und
dann wurde es noch finsterer um ihn herum. Er hörte gedämpfte Schreie und vermutete, dass die anderen der gleichen Prozedur unterworfen wurden.
Wurden sie getrennt – die Schuldigen von den Unschuldigen?
Bis zu diesem Moment hatte er irrigerweise angenommen – ja beinahe gehofft –, die Polizei könne ihnen auf die Spur gekommen sein. Jetzt, als er darüber nachdachte, was ihn möglicherweise erwartete, wünschte Liam plötzlich inständig, er hätte mit seiner ersten Vermutung richtiggelegen.
Angela lag vollkommen reglos da und ignorierte, so gut es ging, die hektischen Bewegungen um sie herum. Die Panik hatte sich so weit gelegt, dass sie wieder klarer denken konnte, und jetzt kam eine Erinnerung an Fernsehbilder aus den Achtzigerjahren in ihr hoch: die Geiselnahme in der iranischen Botschaft in London, die vor den Augen der Weltöffentlichkeit durch einen dramatischen Einsatz der Spezialeinheit SAS beendet worden war.
War das hier etwas Ähnliches? Waren die Angreifer in Wirklichkeit ihre Retter?
Ihre Arme begannen zu kribbeln; sie waren so unglücklich unter ihrem Körper eingeklemmt, dass die Blutzufuhr unterbrochen war. Angela veränderte ihre Lage, wagte es aber nicht, sich umzudrehen. Als niemand sie daran hinderte, stemmte sie sich ein paar Zentimeter vom Boden hoch und spannte nacheinander verschiedene Muskeln an, um ihren Kreislauf wieder in Gang zu bringen.
Nach einigen Sekunden konnte sie auch wieder normal hören, und sie hatte den Eindruck, dass eine gewisse Beruhigung eingekehrt war. Die Männer, die das Kommando übernommen hatten, blafften weiterhin ihre Befehle,
doch der Lärmpegel war gesunken. Sie nahm jetzt andere Geräusche wahr: ein Schlurfen und Scharren, das leise Rascheln von Stoff. Schreie und Stöhnen, Fragen und Proteste, die prompt unterbunden wurden.
Angela schlug die Augen auf. Immer noch war nichts zu sehen, aber sie hatte das Gefühl, dass der Druck nachließ – ein Abfallen der Spannung, das unerklärlicherweise in einen Moment der Stille mündete.
Vielleicht ist das alles nur ein Traum , dachte sie. Ein furchtbarer Alptraum .
In diesem Moment gab es einen Knall, so laut, dass ihr fast das Herz stehenblieb. Sie brach zusammen, überzeugt, dass sie getroffen war. Während sie flach am Boden lag, gelähmt vor Schreck, und herauszufinden versuchte, wo sie verletzt war, ging plötzlich das Licht wieder an.
Angela hielt die Luft an und drückte das Gesicht an den Boden. Doch sie war unversehrt. Das Geräusch war das Knallen der Garagentür gewesen.
Ganz vorsichtig hob Angela wieder den Kopf und blinzelte, als das grelle Licht ihre Augen traf. Sie machte sich auf den Anblick eines fürchterlichen Blutbads gefasst. Um sie herum taten die anderen Gefangenen das Gleiche: Sie sondierten die Lage, während sie sich allmählich mit dem Gedanken vertraut machten, dass sie noch am Leben waren.
Nicht gerettet, aber noch am Leben.
Sie blickte sich um und hielt erschrocken die Luft an.
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