Overkill - Bale, T: Overkill - Terror's Reach
zu merken, was sie tat. Dann sah sie nach unten, zog den Stoff über ihrer Brust straff und lachte verbittert.
»Früher hab ich so was mit Vorliebe angezogen. Jetzt ist es mir nur noch peinlich.«
Aus Höflichkeit wandte Joe sich ab. Cassie wartete, bis ihr Blick ihn zu sich zurückzog.
»Ich habe gehört, was die Frauen gesagt haben. Und es stimmt. Meine Brüste sind lächerlich. Ich hasse sie.«
Joe saß in der Falle. Er konnte nicht erraten, ob sie auf Schmeicheleien aus war oder die Wahrheit hören wollte. Sie hatte sich an Ostern operieren lassen, und obwohl er sich inzwischen daran gewöhnt hatte, war sein erster Eindruck der eines kleinen Mädchens gewesen, das zwei Äpfel in den BH seiner Mutter gesteckt hatte.
Er kam sich schäbig vor, weil er der Frage auswich, antwortete aber dennoch: »Sie haben eine fantastische Figur. Die sind bloß neidisch.«
»Wenn die nur wüssten, hm?« Sie hängte das Kleid wieder an die Stange. Griff nach einem anderen und betrachtete es. Joe vermutete, dass sie sich mit irgendetwas abzulenken suchte, während sie ihm ihr Herz ausschüttete.
»Es war Valentins Idee. Ich habe es für ihn getan, weil ich Angst hatte, seinen Erwartungen nicht gerecht zu werden. « Sie rieb sich die Nase und schniefte. »Wie dem auch
sei, die große Frage ist nach wie vor, warum ich ihn überhaupt geheiratet habe.«
»Cassie, das geht mich nichts an. Ich mische mich nicht gerne in …«
»Sie mischen sich nicht ein. Herrgott noch mal, Sie wohnen schließlich mit uns unter einem Dach. Da müssen Sie sich doch Gedanken darüber machen.«
»Ich weiß, dass Sie gerade eine schwere Zeit durchmachen, aber ich nehme doch an, dass Sie zu Anfang glücklich waren?«
»Ich kann mich gar nicht mehr richtig erinnern. Ich habe ihn geheiratet, weil ich jung und naiv war. Er war charmant und reich, und er war in mich verliebt – glaubte ich jedenfalls. Wie sich herausstellte, wollte er nur ein hübsches Accessoire – eine Frau, die an seiner Seite gut aussieht, ihm keine Widerworte gibt und nicht ihren eigenen Kopf gebraucht.« Cassie breitete die Arme aus und fragte lachend: »Wie konnte das schiefgehen?«
Er wollte gerade sagen: »So schlimm ist es auch wieder nicht«, und sie daran erinnern, dass schließlich Sofia aus dieser Beziehung hervorgegangen war, als sie sich abrupt umdrehte und ihn dann wieder anstarrte.
»Wo ist Jaden?«
Diesmal war es kein falscher Alarm – keine Modellautos, die den Jungen in ihren Bann gezogen hatten. Er war verschwunden.
Joes erste Pflicht war zu verhindern, dass Cassie in Panik geriet. »Keine Sorge«, sagte er. »Sie haben gerade mit ihm geschimpft. Wahrscheinlich versteckt er sich irgendwo, um Ihnen einen Schrecken einzujagen.«
»Um mich zu bestrafen?«, fragte Cassie, erschrocken über die Vorstellung.
»Er wird es wahrscheinlich nicht so sehen.« Joe deutete auf den Gang, der weiter in den Laden hineinführte. »Sie gehen da lang. Ich suche in der anderen Richtung.«
Er drehte sich um und lief los. Zuerst einmal kam es ihm darauf an, den Ausgang und die Rolltreppen in der Mitte des Ladens zu erreichen. Dann könnte er sich wieder zum Ausgangspunkt zurückarbeiten und dabei jede Abteilung gründlich durchsuchen.
Er versuchte abzuschätzen, wie viel Zeit vergangen war, seit er Jaden zuletzt bewusst wahrgenommen hatte. Zwanzig Sekunden. Vielleicht dreißig. In dieser Zeit konnte der Junge noch nicht weit gekommen sein.
Egal, dachte er. Es ist nicht dein Job, dich ablenken zu lassen und dir Cassies Klagen über ihre Ehe anzuhören.
Dein Job ist es, auf sie aufzupassen, und dabei hast du versagt.
Und dann zog ein Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein vertraut klingender Schmerzensschrei, kurz und schrill. Er kam von dem breiten, offenen Ausgang des Einkaufszentrums.
Joe rannte los, vorbei an der Rolltreppe, die er nur mit einem Blick streifte – und dann entdeckte er Jaden. Er wurde gerade von einer merkwürdig aussehenden Frau aus dem Laden herausgeführt. Sie trug Turnschuhe und eine weite Plastik-Regenjacke, und ihr blondes, zerzaustes Haar saß irgendwie schief auf ihrem Kopf. Eine Perücke.
Sie zerrte an Jadens Hand, er drehte sich von ihr weg und versuchte sich loszureißen. Als er Joe entdeckte, begann er zu rufen, worauf die Frau innehielt. Sie trug eine dunkle Brille, und der Kragen ihrer Regenjacke war hochgeschlagen. Ein seltsamer Anblick in dieser Sommerhitze, doch es bedeutete, dass sie auf den Überwachungsvideos so gut wie
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