Owen Meany
GUT, SCHON GUT«, gab er zurück, »SCHREIBEN SIE ETWA: ›DER EHEMALIGE HUNDEBESITZER‹ FISH IST EIN
AUSGEZEICHNETER SCROOGE? SCHREIBEN SIE: ›DIE SADISTISCHE SONNTAGSSCHUL-TYRANNIN
WALKER‹ GIBT EINE REIZENDE MUTTER FÜR TINY TIM AB?«
»Sie haben dich einen ›Star‹ genannt«, erinnerte ich ihn. »Sie haben
dich als ›brillant‹ bezeichnet – und als eine ›große Erscheinung‹.«
»SIE HABEN MICH ›KLEIN‹ GENANNT UND ›ZWERG‹ UND
›KNIRPS‹!« brüllte Owen.
»Gottseidank war eseine stumme Rolle«, bemerkte ich.
»SEHR WITZIG «, gab Owen zurück.
Bei dieser Aufführung war Dan das Presseecho egal; nicht egal [286] war ihm allerdings, was Dickens wohl von Owen
Meany gehalten hätte. Dan war sicher, daß Dickens ihn nicht gutgeheißen hätte.
»Irgendwas stimmt nicht«, überlegte Dan. »Die kleinen Kinder brechen
in Tränen aus – sie müssen die Aufführung verlassen, ehe sie das gute Ende
sehen können. Wir haben sogar schon angefangen, die Mütter mit kleinen Kindern
am Eingang zu warnen. Es ist keine so gute Familien unterhaltung,
wie es sein sollte. Die Kinder gehen aus dem Theater hinaus, als hätten sie Dracula gesehen!«
Dan beruhigte sich ein wenig, als er merkte, daß Owen sich
offensichtlich eine Erkältung zugezogen hatte. Owen war anfällig für
Erkältungen; außerdem war er im Augenblick permanent übermüdet – morgens probte
er das Krippenspiel, und abends spielte er den Geist der zukünftigen Weihnacht.
An manchen Nachmittagen war Owen so erschöpft, daß er im Haus meiner Großmutter
einschlief; er nickte auf dem Teppich im Arbeitszimmer ein, lag reglos unter dem
großen Sofa oder auf einem Stapel Kissen auf der Couch, wo er zuvor mit meiner
Spielzeugkanone meine Zinnsoldaten abgeschossen hatte. Ich ging öfter mal in
die Küche, um uns ein paar Kekse zu holen, und wenn ich ins Arbeitszimmer
zurückkam, schlief Owen bereits fest. »Er wird einmal wie Lydia«, bemerkte
meine Großmutter – denn auch Lydia konnte sich nachmittags nicht wachhalten;
sie nickte in ihrem Rollstuhl ein, wo immer Germaine sie gerade, manchmal mit
dem Gesicht zur Wand, stehengelassen hatte. Das war ein weiteres Indiz für
meine Großmutter, daß Lydias Senilität der ihren voranschritt.
Doch als sich bei Owen die ersten Anzeichen einer herannahenden
Grippe bemerkbar machten – ab und zu ein Niesen oder ein Schneuzen, und eine
laufende Nase – dachte Dan Needham, seine Aufführung des Stückes von Dickens
könne nur davon profitieren, wenn Owen krank würde. Dan wollte nicht, daß Owen
ernstlich erkrankte; er wünschte ihm nur einen leichten Husten und einen
Schnupfen – und vielleicht würde Owen sich ab und zu die [287] Nase putzen müssen. Solch ein menschliches Geräusch unter der düsteren Kapuze würde die Zuschauer
sicherlich beruhigen; wenn Owen niesen oder sich schneuzen müßte, könnte er
damit vielleicht sogar einige Lacher ernten. Dans Meinung nach wären einige
Lacher nicht weiter schlimm.
»Aber für Owen könnte es schlimm sein«, wandte ich ein. »Ich glaube
nicht, daß Owen sich über einen Lacher freuen würde.«
»Ich meine ja nicht, daß ich aus dem Geist der Zukunft eine Witzfigur machen will«, verteidigte sich Dan. »Ich würde
ihn nur gern ein bißchen menschlicher haben.« Denn
darin sah Dan das Problem: Owen wirkte nicht menschlich. Er hatte die Größe
eines kleinen Kindes, doch seine Bewegungen waren auf unheimliche Weise
erwachsen; und seine Autorität auf der Bühne war nicht nur die eines
Erwachsenen – sie war übernatürlich.
»Versuch es mal so zu sehen«, sagte Dan zu mir. »Ein Geist, der
niest, ein Geist, der hustet – ein Geist, der sich die Nase putzen muß – der
jagt einem einfach nicht ganz so viel Angst ein.«
Doch was ist, wenn das Jesuskind niesen und husten und sich die Nase
putzen muß? dachte ich. Wenn die Wiggins schon darauf bestanden, daß das
Jesuskind nicht weinen durfte, was würden sie dann von einem kranken Friedensfürsten halten?
Alle waren an diesem Weihnachtsfest krank: Dan erholte sich von
seiner Bronchitis, um festzustellen, daß er sich eine Bindehautentzündung
zugezogen hatte; Lydia hatte einen so schlimmen Husten, daß sie sich
gelegentlich samt ihrem Rollstuhl ein Stück rückwärts katapultierte. Als Mr.
Early, der Marleys Geist spielte, anfing trocken zu husten und sich die Nase zu
putzen, gestand Dan mir, es würde dem Stück doch eine geradezu perfekte
Symmetrie verleihen, wenn alle Geister
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